Psychotherapie aus dem Netz

Können Online-Therapieprogramme den Psychotherapeuten ersetzen? Nein, sagt Prof. Dr. phil. Thomas Berger. Aber sie können zur Prävention und Reduktion psychischer Störungen beitragen.

Text: Robert Wildi

Das Thema Burn-out ist in aller Munde. Gibt es immer mehr Menschen, die davon betroffen sind?

Burn-out ist keine klar definierte Diagnose, sondern wird im alltagssprachlichen Gebrauch als Synonym für Erschöpfung und Überlastung verwendet. Zahlen zu erfassten Fällen existieren nicht. In einer Untersuchung des Staatssekretariates für Wirtschaft zeigte sich, dass der subjektiv wahrgenommene Stress am Arbeitsplatz in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat. Das muss aber nicht zwingend bedeuten, dass auch die Erschöpfungsraten gestiegen sind.

Sind Schweizer besonders stressanfällig?

In einer repräsentativen Umfrage der Universität Bern aus dem Jahr 2014 gab knapp ein Viertel der befragten Erwerbstätigen an, ziemlich oder sehr erschöpft und emotional ausgelaugt zu sein. Diese Zahl ist hoch, liegt aber im europäischen Durchschnitt.

Ist Burn-out eine Modekrankheit?

Hinter einem Burn-out kann auch eine schwerwiegende Erkrankung stecken, die behandlungsbedürftig ist. In Fachkreisen wird heute diskutiert, ob Burn-out und Depression unterschiedliche Krankheiten oder einfach verschiedene Begriffe für die gleiche Erkrankung sind. Symptome, Auswirkungen und Behandlungen überschneiden sich oft stark.

«In Fachkreisen wird heute diskutiert, ob Burn-out und Depression unterschiedliche Krankheiten oder einfach verschiedene Begriffe für die gleiche Erkrankung sind. Symptome, Auswirkungen und Behandlungen überschneiden sich oft stark.»
Prof. Dr. phil. Thomas Berger

Welche Symptome weisen auf ein beginnendes psychisches Ungleichgewicht hin?

Die Symptome von Burn-out lassen sich generell in drei Kategorien einteilen: Erstens fühlt man sich emotional und körperlich erschöpft, kraft- und energielos. Zweitens äussert sich eine zunehmende Gleichgültigkeit und teils zynische Einstellung gegenüber der Arbeit oder dem sozialen Umfeld. Drittens wird man unproduktiver und kann nicht mehr die gewohnte Qualität liefern. Das Selbstwertgefühl sinkt in der Regel parallel dazu. Wenn man solche Warnzeichen nicht ernst nimmt, wird es gefährlich. Im fortgeschrittenen Stadium ist es zum Beispiel kaum mehr möglich, zwischen Burn-out und Depression zu unterscheiden. Andere Symptome, die darauf hinweisen, dass die Psyche aus der Balance gerät, sind Schlaflosigkeit, permanente Niedergeschlagenheit, Angstzustände, unkontrollierbare Sorgen und ständige Anspannung und Nervosität.

Was halten Sie von webbasierten Psychotherapieprogrammen zur Früherkennung?

Online-Interventionen haben sich bereits in vielen Studien als erstaunlich wirksam zur Reduktion von depressiven Symptomen oder auch von Panikstörungen oder sozialen Ängsten erwiesen. Solche webbasierten Programme sprechen zunächst Menschen an, die nicht unmittelbar zu einem Therapeuten können, wollen oder müssen.

Raten Sie zu Selbstversuchen?

Durchaus. Seriöse Programme können einfach mal ausprobiert werden. Sie erklären psychologische Zusammenhänge und Möglichkeiten der Veränderung. Sie leiten zu Übungen an, die etwa darauf abzielen, aktiver zu werden, sich bestimmten Situationen zu stellen, hilfreicher zu denken oder sich körperlich entspannen zu können. Im schlimmsten Fall gelingt es dem Nutzer nicht, diese Übungen umzusetzen. Unsere Erfahrung zeigt: Wenn die Programme nicht oder nicht ausreichend helfen, entscheiden sich viele Nutzer für eine Psychotherapie.

Wie erkennt man seriöse Online-Programme?

Wirksame Selbsthilfeprogramme basieren auf wissenschaftlich abgestützten Methoden der Psychotherapie. Bei der Auswahl eines Internetprogramms sollte man sicherstellen, dass auf der Website des Anbieters Hinweise auf wissenschaftliche Studien und glaubhafte Nachweise für die Wirksamkeit des Programms ersichtlich sind.

Können Online-Programme den Psychotherapeuten ersetzen?

Nein, das können sie nicht. Bei denjenigen Online-Programmen, die gemäss Studien besonders wirksam sind, werden die Nutzer von einem Therapeuten begleitet. Der Grund ist, dass es vielen Personen schwerfällt, ohne diese zusätzliche Unterstützung dranzubleiben und die Therapiemodule eines solchen Programms durchzuarbeiten. Es gibt aber auch unbegleitete Selbsthilfeprogramme, die wirksam sind.

Sie sehen also die Web-Programme als Ergänzung?

Sogar mehr als das. Sie können zur Prävention und Reduktion von psychischen Störungen beitragen. Hat aber eine solche Störung ein bestimmtes Ausmass angenommen, können internetbasierte Anwendungen nicht mehr helfen. In solchen Fällen sollte man umgehend einen Arzt oder Psychotherapeuten kontaktieren.

Prof. Dr. phil. Thomas Berger arbeitet in der Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Bern und hat dort eine Förderungsprofessur SNF (Schweizerischer Nationalfonds) zum Thema «Internetbasierte klinisch-psychologische Interventionen». Gegenwärtig betreibt er zum Thema diverse Projektstudien, über die Sie auf www.online-therapy.ch mehr erfahren.

Teilen