Psychosomatik: der Körper als Alarmsystem der Seele

Wenn alles zu viel wird, leidet nicht nur die Psyche. Oft spielt auch der Körper verrückt und eine schwierige Ursachenforschung beginnt.

Text: Robert Wildi

Bilder: Keenan Constance / Unsplash

3 Min

12.07.2021

Der ständige berufliche Druck. Der andauernde private Stress. Ängste und Sorgen. Und plötzlich macht auch noch der Körper schlapp. Der Mensch ist ein komplexes Wesen. Nirgendwo zeigt sich das so gut wie in der Psychosomatik: Hier fliesst das Wissen über Körper und Psyche in einem Fachgebiet zusammen. Dass es dieses Fachgebiet braucht, um das Geflecht aus Wechselwirkungen zu entwirren, zeigen Fakten: Bis zu 80 Prozent der Menschen erleben im Lauf ihres Lebens mindestens einmal, dass psychische Belastungen auf die körperliche Gesundheit schlagen. Dann stolpert das Herz, der Blutdruck schnellt nach oben, der Rücken schmerzt, die Haut sendet mit Ausschlägen ein SOS. Der Arztbesuch zeigt jedoch: Das Herz ist eigentlich okay, die Bandscheiben sind an Ort und Stelle, Allergietests unauffällig. Was passiert hier?

Psychosomatisch krank: Was bedeutet das?

«Zeitlich beschränkte Belastungen kann der Mensch körperlich und psychisch gut bewältigen», erklärt Ulrich T. Egle, Professor für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie im Sanatorium Kilchberg, «anhaltende jedoch nicht.» Lässt der Stress nicht mehr nach, führt dies im Blut zu einem dauerhaft hohen Wert des Stresshormons Cortisol. «Cortisol wiederum schädigt bestimmte Hirnbereiche», so Egle. Besonders strapaziert werden dabei unter anderem jene Areale, die für die Stressverarbeitung zuständig sind. Dadurch gerät die Selbstregulation des Organismus aus dem Gleichgewicht, die normalerweise nach Stressspitzen im Körper wieder für Entspannung sorgt. Die Folge: Man wird psychosomatisch krank.

Perfektionisten und ängstliche Personen sind häufiger betroffen

Menschen, die zu Perfektionismus und Selbstüberforderung neigen, sind dafür anfälliger. Auch wer Neuem ängstlich gegenübersteht oder Ungewissheit schlecht aushält. Entscheidend ist für Egle dabei, wie jemand Stress bewältigt und herausfordernde Situationen bewertet. «Geprägt werden unsere Bewältigungsmuster durch vorausgegangene Lern- und Lebenserfahrungen. Sie dienen dazu, auf neue Situationen und Herausforderungen bestmöglich vorbereitet zu sein.» Diese Muster können lange effizient sein, auf Dauer aber dennoch zu einer Belastungsstörung führen. Im Idealfall sollte das Gehirn Stresssituationen unter einem möglichst geringen Energieaufwand bewältigen können.

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Ursachenorientierte Psychotherapie als Königsweg

Gelingt dies nicht mehr, brauchen die Betroffenen externe Hilfe. An erster Stelle steht dabei, sich die Erkrankung bewusst zu machen. «Psychosomatisch kranke Menschen wollen oft lieber richtig, respektive körperlich krank sein, als sich selbst und anderen eine stressbedingte Erkrankung einzugestehen», sagt Egle. Selbst wenn sich in der Diagnostik ein erhebliches Ausmass an Stressproblemen abzeichnet, müssen diese Patienten oft zu einer entsprechenden Behandlung motiviert werden. «Ohne deren aktive Mitarbeit ist die Therapie nämlich nicht Erfolg versprechend », hält der Psychiater fest.

Helfen Medikamente?

Für Egle spielen Medikamente bei der Therapie stressbedingter Erkrankungen höchstens in akuten Krisen und in Einzelfällen eine Rolle. Dass immer noch häufig und über längere Zeit Beruhigungsmittel oder Opiate eingesetzt werden, beurteilt er kritisch. «Diese führen nicht selten zu einer zusätzlichen Abhängigkeitserkrankung.» Im Mittelpunkt der Behandlung steht für ihn stattdessen eine ursachenorientierte Psychotherapie. Dort sollen Patienten zunächst verstehen lernen, wie und warum sie sich immer wieder selbst in Stresszustände bringen.

«Erst wenn diese Mechanismen für Betroffene nachvollziehbar sind, können sie damit beginnen, bisherige Denk-, Erlebens- und Verhaltensmuster zu verändern», sagt Egle. Dieses «Umlernen» wird dann mit konkreten Übungen im Alltag umgesetzt und mit Entspannungstechniken und einem individuell dosierten Sporttraining ergänzt. «So lassen sich Funktionsstörungen im vegetativen Nervensystem und im Immunsystem oft wirkungsvoll beheben.» Damit es für die Betroffenen unter veränderten Vorzeichen weitergeht, wo plötzlich nichts mehr gegangen ist.

Expertentipp

«Beim Umlernen bisheriger Verhaltensmuster können beim Patienten sehr unterschiedliche Aufgaben im Mittelpunkt stehen. Etwa eine stärkere Wahrnehmung der eigenen Gefühle und Bedürfnisse oder mehr Selbstfürsorge. Wichtig kann auch eine offenere Kommunikation eigener Interessen oder weniger Planung und Perfektionismus im Alltag sein. Und dass man lernt, mit Ungewissheiten toleranter umzugehen», so Ulrich T. Egle.

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