Autoimmunkrankheiten – häufige Formen erklärt
Was passiert, wenn das Immunsystem den eigenen Körper angreift? Autoimmunerkrankungen können Organe und Gewebe nachhaltig schädigen. Doch es gibt Hoffnung.
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Es beginnt oft schleichend. Ein plötzliches Schwächegefühl, unerklärliche Schmerzen oder Symptome, die scheinbar keinen Zusammenhang haben. Für Betroffene bleibt die Ursache häufig lange unklar, bis schliesslich die Diagnose gestellt wird: Autoimmunerkrankung.
Was ist eine Autoimmunerkrankung?
Dabei handelt es sich um eine Fehlleitung des Immunsystems. Statt den Körper vor Krankheitserregern zu schützen, richtet sich das Abwehrsystem gegen gesunde körpereigene Zellen.
In der Fachsprache wird dieser Prozess als Autoimmunreaktion bezeichnet. Die dabei entstehenden Entzündungen können unter anderem Atemwege, Darm, Haut, Nervensystem, Nieren, Gefässe und Schilddrüsen dauerhaft schädigen. Betroffene leiden an chronischen Beschwerden, weil die Immuntoleranz – die Fähigkeit des Immunsystems, zwischen fremden und eigenen Zellen zu unterscheiden – gestört ist.
Welche Funktion erfüllt das Immunsystem?
Das Immunsystem ist der natürliche Schutzschild des Körpers, der ihn vor Krankheitserregern wie Bakterien, Viren, Parasiten und Pilzen schützt. Es wehrt auch Schadstoffe aus der Umwelt ab und erkennt krankhafte Veränderungen in den eigenen Zellen, um diese zu bekämpfen. Dazu unterscheidet es zwischen körpereigenen und fremden Substanzen, um gezielt schädliche Eindringlinge zu attackieren.
Erkennt das Immunsystem unbekannte Substanzen, wie Krankheitserreger, löst es eine Alarmreaktion aus. Daraufhin werden spezielle Abwehrstoffe, sogenannte Antikörper, gebildet. Diese heften sich an die fremden Strukturen, die Antigene, sodass das Immunsystem sie unschädlich machen kann.
Wenn der Körper gesundes Gewebe angreift
Bei Autoimmunerkrankungen ist dieser Prozess gestört. Das Immunsystem bildet Autoantikörper, die fälschlicherweise gesundes körpereigenes Gewebe angreifen. Diese Autoantikörper sowie aktivierte Immunzellen lösen entzündliche Reaktionen aus, die Gewebe und Organe schädigen oder zerstören können.
Typen von Autoimmunerkrankungen
Fachleute unterscheiden zwischen zwei Hauptformen von Autoimmunerkrankungen:
- Organspezifische Autoimmunerkrankungen: Hier sind einzelne Organe oder Organsysteme betroffen, wie bei der Hashimoto-Thyreoiditis oder Diabetes Typ 1.
- Systemische Autoimmunerkrankungen: Diese betreffen mehrere Organe und Gewebe im Körper, wie beim systemischen Lupus erythematodes.
Häufige Autoimmunerkrankungen: über 600 Millionen Personen betroffen
Schätzungen zufolge sind weltweit rund fünf bis acht Prozent der Bevölkerung von einer der bisher rund 100 bekannten Autoimmunerkrankungen betroffen. Frauen erkranken viermal häufiger als Männer. Zu den häufigsten Autoimmunerkrankungen gehören:
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Psoriasis
Psoriasis ist eine chronisch-entzündliche Hauterkrankung, die sich durch gerötete, schuppende Hautstellen äussert. Gemäss der Schweizerischen Psoriasis- und Vitiligo-Gesellschaft (SPVG) sind in der Schweiz rund 170 000 Menschen von Psoriasis betroffen – rund ein Viertel davon leidet unter einer mittelschweren bis schweren Form.
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Hashimoto-Thyreoiditis
Die Hashimoto-Thyreoiditis ist eine entzündliche Erkrankung der Schilddrüse, die zu einer Unterfunktion des Organs führt. In Mitteleuropa ist nahezu jede zehnte Person betroffen, wobei Frauen deutlich häufiger erkranken als Männer.
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Diabetes Typ 1
Diabetes Typ 1 ist eine Autoimmunerkrankung, bei der die körpereigene Abwehr alle insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse zerstört. Dadurch steigt der Blutzuckerspiegel dauerhaft an, was Gefässe und Organe schädigen kann. In der Schweiz sind Schätzungen zufolge rund 525 000 Personen an Diabetes erkrankt, davon sind ca. 50 000 Personen von einem Typ-1-Diabetes betroffen, wie die Organisation DiabetesSchweiz schreibt.
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Multiple Sklerose
Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems, die zu einer gestörten Nervenleitung und Symptomen wie Empfindungsstörungen, Sehstörungen oder Muskellähmungen führt. In der Schweiz sind gemäss Angaben der Schweizerischen Multiple Sklerose Gesellschaft (MS-Gesellschaft) über 18 000 Menschen von dieser unheilbaren Erkrankung betroffen – darunter viele junge Menschen, wie die MS-Gesellschaft schreibt.
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Rheumatoide Arthritis
Die rheumatoide Arthritis ist die häufigste entzündliche Gelenkerkrankung, die vor allem kleine Gelenke wie Finger und Zehen betrifft. Chronische Entzündungen führen zu Schmerzen, Schwellungen und Funktionseinschränkungen, die langfristig Gelenke zerstören können. Gemäss Angaben der Rheumaliga Schweiz sind in der Schweiz rund 85 000 Menschen betroffen, am häufigsten Frauen zwischen 30 und 50 Jahren.
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Morbus Crohn
Morbus Crohn ist eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung, die oft in Schüben verläuft und meist den Übergang vom Dünn- zum Dickdarm betrifft. Typische Symptome sind Bauchschmerzen, Durchfall, Gewichtsverlust und Müdigkeit. Diese Schübe wechseln sich oft mit beschwerdefreien Phasen ab, was die Erkrankung schwer vorhersehbar macht. In der Schweiz sind etwa 3 von 1000 Personen betroffen, wie die Patientenvereinigung Crohn Colitis Schweiz schreibt.
Ursache nicht ausreichend geklärt
Die genauen Ursachen von Autoimmunerkrankungen sind bislang nicht vollständig geklärt. In der Regel führt eine Kombination verschiedener Faktoren zur Entwicklung der Erkrankung, wobei eine genetische Veranlagung das Risiko erhöht. Zusätzlich können Virusinfektionen, hormonelle Veränderungen, Umwelteinflüsse wie Schadstoffe oder auch der Lebensstil, beispielsweise Rauchen, eine Rolle spielen.
Vielfältige Symptome
Die Symptome von Autoimmunerkrankungen sind vielfältig und hängen davon ab, welche Organe oder Gewebe betroffen sind. Häufig treten chronische Schmerzen auf, wie Gelenkschmerzen bei rheumatoider Arthritis, Bauchschmerzen bei Morbus Crohn oder Rückenschmerzen bei axialer Spondylitis.
Fieber ist ebenfalls ein häufiges Symptom und tritt oft als Folge von Entzündungsvorgängen auf. Bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa oder Zöliakie sind Durchfall und eine gestörte Nährstoffaufnahme typisch, was oft zu Müdigkeit und allgemeiner Erschöpfung führt.
Auch die Augen können betroffen sein, wie etwa bei entzündeten Augen bei Morbus Bechterew. Juckreiz, insbesondere bei Psoriasis-Arthritis, ist ebenfalls häufig und tritt oft an Handflächen, Fusssohlen oder in Hautfalten auf. Diese Symptome können jedoch auch bei anderen Krankheiten wie Infekten oder Allergien auftreten, was die Diagnose zusätzlich erschwert.
Leben mit einer Autoimmunerkrankung
Das Leben mit einer Autoimmunerkrankung stellt viele Betroffene vor grosse Herausforderungen. Die Symptome und die Unvorhersehbarkeit der Krankheit können den Alltag erheblich belasten. Trotzdem ist ein lebenswertes Leben möglich.
Ein wesentlicher Faktor ist, dass Betroffene lernen, die Krankheit zu akzeptieren und sich aktiv mit ihr auseinanderzusetzen. Regelmässige Arztbesuche, die Einhaltung der Therapiepläne und ein bewusster Lebensstil sind dabei entscheidend.
Viele Patient:innen berichten, dass der Austausch mit anderen Betroffenen ihnen hilft, die emotionale Belastung besser zu bewältigen. Selbsthilfegruppen oder Online-Communitys bieten eine Plattform für den Austausch von Erfahrungen und Tipps. Ergänzend zur medizinischen Behandlung können auch psychologische Beratungen oder Stressmanagement-Techniken zur Verbesserung der Lebensqualität beitragen.
Die Lebenserwartung von Menschen mit Autoimmunerkrankungen hängt stark von der Art der Erkrankung und der individuellen Situation ab. Während einige Krankheiten wie Zöliakie oder Hashimoto-Thyreoiditis bei richtiger Behandlung kaum die Lebenserwartung beeinflussen, können andere wie systemischer Lupus erythematodes oder Multiple Sklerose schwerwiegendere Auswirkungen haben.
Heilungschancen von Autoimmunerkrankungen
Die Heilungschancen bei Autoimmunerkrankungen sind bislang begrenzt, da die meisten dieser Krankheiten chronisch verlaufen. Dennoch haben die Fortschritte in der Medizin die Behandlungsmöglichkeiten erheblich verbessert. Mit einer frühzeitigen Diagnose und einer konsequenten Therapie lassen sich viele Symptome lindern und das Fortschreiten der Krankheit aufhalten.
Neue Therapiemethoden geben Hoffnung
Neue Ansätze wie die an der Berliner Charité erprobte Zelltherapie könnten in Zukunft jedoch die Heilungschancen erhöhen. Diese neuartige Behandlung zielt darauf ab, lebende Zellen im Körper der Patient:innen zu vermehren, um die autoaggressiven Komponenten des Immunsystems gezielt zu bekämpfen. Erste Ergebnisse der Therapiestudien sind vielversprechend: Patient:innen berichten von einer deutlichen Verbesserung ihres Zustands. Es gibt sogar Hinweise, dass eine vollständige Heilung möglich sein könnte.
Während die Berliner Charité sich auf die gezielte Bekämpfung autoaggressiver Zellen konzentriert, testen Wissenschaftler:innen an der UC Davis Health eine Therapie, die Menschen mit Lupus helfen könnte. Bei der CAR-T-Zelltherapie werden Abwehrzellen aus dem Blut entnommen und so verändert, dass sie die Zellen angreifen, die die Krankheit verursachen. Auch hier sehen die ersten Ergebnisse vielversprechend aus. Die Symptome verbesserten sich, und über zwei Jahre hinweg traten keine Rückfälle auf.