Wenn eine geliebte Person erkrankt: Hilfe für Angehörige
Sorgen, Ängste, Ohnmacht: Mit Menschen zu leben, die in einer psychischen Krise stecken, bringt all dies mit sich. Doch: Betreut werden oft nur die Erkrankten, während deren Angehörige alleine mitleiden. Wo erhalten sie Hilfe?
Das ist nicht die Partnerin, die ich geheiratet habe; nicht mein Kind, mein Vater, mein Freund, wie sie früher waren: Erkrankt ein enges Familienmitglied, gerät auch die eigene Welt aus den Fugen. «Es schmerzt, die Veränderungen eines geliebten Menschen durch die psychische Erkrankung mitzuerleben. Oft spüren Angehörige Hilflosigkeit und Ohnmacht gegenüber der Krankheit», weiss Yvonne Schwarzer vom VASK Zürich.
Im Dachverband VASK Schweiz sind die regionalen und kantonalen Vereinigungen der Angehörigen von psychisch Erkrankten zusammengeschlossen. «Zudem fühlt man sich verantwortlich für alles, was um den Patienten herum geschieht. Angehörige tragen Schätzungen zufolge 70 Prozent der gesamten Betreuungsarbeit von Menschen in psychischen Krisen.» Schwarzer weiss, wovon sie spricht. Sie ist nicht nur selbst betroffen, sondern leitet auch das Beratungstelefon des VASK Zürich. Täglich hört sie unzählige Geschichten aus dem schwierigen Alltag. «Schnell wird da alles zu viel. Als Angehörige oder Angehöriger funktioniert man nur noch.»
Hört das irgendwann wieder auf?
Vor allem Eltern, Geschwister und Partner, aber auch der Freundeskreis nutzen die Beratung am Telefon. Allen gemein? Die grosse Sorge um die Erkrankten, die plötzlich über allem kreist: Sie bestimmt den Alltag, geht mit ins Bett, steht am frühen Morgen wieder mit auf. Dabei quälen vor allem Fragen wie: Wird mein Sohn je wieder glücklich sein? Wird meine Partnerin wieder arbeiten können? Wie werden unsere Finanzen in Zukunft aussehen? Was passiert, wenn meine Mutter in eine klinische Einrichtung gebracht wird? Und danach? Und überhaupt: Hat das Leiden irgendwann wieder mal ein Ende?
Die Antworten darauf kann Yvonne Schwarzer im rund dreiviertelstündigen Gespräch natürlich nicht geben. Aber Zuversicht schenken und Verständnis zeigen: «Diese Menschen möchten in erster Linie mit jemandem reden, der sie dank eigener Erfahrungen versteht. Und es gibt ihnen Sicherheit, dass sie nun eine Nummer bei sich tragen, die sie immer wieder anrufen können.»
Kreisende Gedanken
Ein offenes Ohr – nicht selbstverständlich für die Angehörigen der Patienten. Denn: Oft bleibt im Alltag keine Zeit und keine Energie für ihre Bedürfnisse und Sorgen übrig. Schwarzer sagt: «Die depressive oder schizophrene Partnerin erhält ganz selbstverständlich die volle Aufmerksamkeit in der Familie. Sie sieht oft auch nur noch sich selbst und verhält sich rücksichtslos. Zudem macht sie eine Therapie und wird durch Ärzte begleitet. Nur: Vergessen geht dabei, dass auch der Partner oder die Mutter mitleiden und von der Krankheit ebenso betroffen sind.»
Hilfe sollten sich Angehörige spätestens dann suchen, wenn ihre Gedanken ständig um die Krankheit ihrer Liebsten kreisen. Auf lange Sicht macht das einen nämlich selber krank. In einer Therapie gelte es dann aber, nicht wieder nur über die Betroffenen zu sprechen, sondern auch die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen, betont Schwarzer. «Vielen fällt das schwer. Schliesslich sind sie selber ja nicht klinisch krank und stehen trotzdem auf einmal im Mittelpunkt.»
Neben einer Beratung oder Therapie kann es aber auch helfen, sich in Selbsthilfegruppen auszutauschen. Darum bietet der VASK Zürich moderierte Treffen an. «Es ist gar nicht so entscheidend, um welche psychischen Probleme es sich handelt. Die Sorgen und Ängste sind immer die gleichen», weiss Yvonne Schwarzer. Viele tragen neben der Angst um die Betroffenen auch Selbstvorwürfe mit sich: Bin ich schuld? Habe ich die Veränderungen zu spät bemerkt? Was habe ich falsch gemacht? «Das bringt die Krankheit aber auch nicht wieder weg», sagt Schwarzer nüchtern. «Man muss versuchen, nach vorne zu schauen.»
«Man sollte möglichst nicht immer auf den Mund hocken.»
Mut und Stärke
Doch wie verliert man sich selber nicht aus den Augen, wenn es «brennt» und der Alltag belastend ist? «Indem man das schwierige Verhalten der Erkrankten nicht zu nahe an sich heranlässt», antwortet die Beraterin. Wichtig ist auch zu verstehen, dass man einer depressiven oder schizophrenen Person ihre Wahrnehmungen nicht ausreden kann. Aber auch dass die eigene Wahrnehmung ebenso formuliert werden muss. «Man sollte möglichst nicht immer auf den Mund hocken.»
Grenzen zu ziehen sei elementar, meint Schwarzer und erzählt von einem Fall, bei dem die Eltern eines psychisch erkrankten Mannes stark litten, weil dieser immer wieder unangekündigt ihn ihr Haus spazierte. Auch als Eltern dürfe man dazu entschieden «Nein!» sagen. «Das alles ist ein langer Weg, auf dem es Mut und Stärke braucht. Es gilt, die Balance zu finden: Man sollte nicht immer alle Verantwortung übernehmen, sondern auch die Eigenverantwortung des Patienten fördern. Nach und nach entsteht dann wieder mehr Freiraum.»
Vielleicht hilft es, sich Yvonne Schwarzers Mantra ab und an bewusst zu machen: «Geht es den Angehörigen gut, hilft das auch den Erkrankten.»