Dossier: Covid-19

Long Covid: Ursachen, Symptome und Behandlung

Atemprobleme, Müdigkeit und Schmerzen – auch nach einer überstandenen Covid-19-Infektion leiden viele Menschen weiter. Doch was ist bekannt über die Corona-Langzeitfolgen und wo tappt die Wissenschaft noch im Dunkeln? Epidemiologe Prof. Dr. Milo Puhan über den Stand der Forschung in Sachen Long Covid.

Text: Katharina Rilling; Foto: Unsplash; Portrait: zvg

Alles nur eingebildet: Einige Kritiker sind der Meinung, dass es Long Covid gar nicht gebe. Was entgegnen Sie ihnen?

Die Fakten sprechen gegen diese Aussage. Postvirale Symptome gibt es auch bei anderen Virusinfektionen, das ist kein neues Phänomen. Dass die Ausprägung diesmal etwas stärker zu sein scheint und auch schneller zu erkennen ist, kann an der schieren Masse der Erkrankten liegen. Wir sprechen gerade von mehr als 2 Millionen in der Schweiz! Dieses Ausmass ist neu.

Was gilt aktuell als gesichert in Bezug auf Long Covid und welche Long-Covid-Symptome gibt es?

Sicher ist, dass es sich um ein sehr vielfältiges Syndrom handelt mit verschiedenen Symptomen oder Kombinationen von Symptomen. Bei manchen bleiben nach der akuten Covid-19-Erkrankung die Symptome einfach bestehen. Bei andern, auch solchen mit milden oder sogar asymptomatischen Krankheitsverläufen, treten nachträglich plötzlich Probleme auf – beispielsweise andauernde Atemnot, chronische Erschöpfung oder Gelenk- und Muskelschmerzen.

Long Covid – was ist das?

Eine einheitliche Definition von Long Covid gibt es noch nicht. Gemäss Milo Puhan ist es aber sinnvoll, erst davon zu sprechen, wenn man sich drei Monate nach einer Covid-19-Erkrankung noch nicht wieder erholt hat. Manche Studien untersuchen die Beschwerden auch erst nach einem Zeitraum von sechs Monaten. Warum und wie sie entstehen, ist noch ungewiss. Long Covid gilt derzeit nicht als eine identifizierbare Krankheit, sondern als ein Syndrom – das heisst eine Kombination verschiedener Symptome, bei der noch unklar ist, wie diese zusammenhängen und was ihre Ursache ist. Andere Bezeichnungen für das Syndrom sind übrigens: «Post-Covid-Syndrom», «PASC» (Post-Acute Sequelae of Covid-19) oder «Long-haul Covid».

Auf der Website altea-netzwerk.com findet man Informationen wie Adressen von Fachleuten sowie einen Ratgeber mit Tipps und Erfahrungsberichte. Und man kann sich mit Betroffenen in einem Forum austauschen.

Wie viele Menschen sind von Long-Covid-Folgen betroffen?

Es erhärtet sich langsam der Verdacht, dass drei Monate nach der Virusinfektion rund 20 bis 25 Prozent an Long-Covid-Symptomen leiden. Nach sechs Monaten sind es noch etwa 15 bis 20 Prozent – über alle Infizierten und Schweregrade der Beeinträchtigungen hinweg. Sprich: Manche von ihnen werden noch lange lediglich milde Symptome, andere schwere Einschränkungen haben.

Weiss man, wer am stärksten betroffen ist?

Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer. Es gibt dafür bislang lediglich Erklärungsversuche. Zum Beispiel ist es so, dass Männer tendenziell schwerer an Covid-19 erkranken. Frauen haben hingegen zu Beginn etwas bessere Karten, weil ihr Immunsystem eventuell stärker auf den Infekt reagiert. Aber sie sind generell anfälliger für Autoimmunerkrankungen, die manchmal durch Viren getriggert werden. Die starke Immunantwort richtet sich also plötzlich gegen den eigenen Körper. Es kann aber auch sein, dass Frauen Symptome etwas stärker spüren. Wahrscheinlich ist es eine Kombination aus beidem.

«Wir beobachten, dass viele Hemmungen haben, zum Arzt zu gehen. Warum? Aus Angst, nicht ernst genommen zu werden.»
Prof. Dr. Milo Puhan, Professor für Epidemiologie und Public Health

Dann sind die Covid-19-Langzeitfolgen eine Autoimmunerkrankung?

Das ist eine Theorie. Vieles ist unklar: Welche Beschwerden gehören noch zum Akutverlauf? Welche entstehen durch eine Immunreaktion oder durch eine neu entstandene Autoimmunreaktion? Antworten auf diese Fragen wären natürlich wichtig für Prävention und Therapie. Ich bin zuversichtlich, dass wir in den nächsten Monaten deutlich mehr wissen werden.

Was tun bei Erschöpfung/Fatigue?

Die seelische, körperliche oder geistige Erschöpfung ist eines der häufigsten Long-Covid-Symptome. Doch was tun, wenn der Alltag nur noch überfordert? Die vier Ps können dabei helfen, die täglichen Aufgaben anzupassen: Prioritäten setzen, planen, Pausen machen, positiv bleiben. Wichtig sind auch diese vier Schritte:

  1. Sich die eigenen neuen Grenzen bewusstmachen: körperlich, geistig, sozial und emotional.
  2. In jedem dieser Bereiche ein individuelles Warnzeichen festlegen.
  3. Akzeptieren dieser aktuellen Grenzen.
  4. Die Grenzen kommunizieren und sich helfen lassen.

Emotionales Thema: Wie häufig erkranken Kinder an Long Covid?

Dazu ist sehr wenig bekannt. Schweizweit wird von einem schweren Langzeitverlauf bei zwei bis drei Prozent aller Kinder berichtet. Laut einer italienischen Studie hatten rund 40 Prozent der in Italien sehr schwer erkrankten Kinder andauernde Probleme. Aber das sind Schreckensszenarien, denn es landen ja nur sehr wenige Kinder im Spital. Die ganz grosse Mehrheit hat akut wenige bis keine Symptome. Zu ihnen haben wir keine gesicherten Erkenntnisse in Sachen Long Covid. Aber wir müssen aufpassen, dass wir keine Pandemiebekämpfung für Erwachsene betreiben und die Kinder dabei vergessen. Stellen Sie sich vor: Die Kinder werden bekanntlich als letzte Gruppe geimpft. Was, wenn wir dann plötzlich ein Long-Covid-Problem bei den Jüngsten hätten? Das wäre ganz schlecht.

Hilft die Impfung gegen Long Covid? Sollten Patienten Ihrer Meinung nach früher geimpft werden?

Es ist noch unklar, wie stark Impfungen helfen. Daher ist es nicht ganz einfach, Personen mit Long Covid zu priorisieren. Ich hoffe aber auf den Impffortschritt und darauf, dass sich bald jeder impfen lassen kann, der das möchte.

Sie haben die Studienlage im Blick. Gibt es Überraschungen – etwas, das Sie erstaunt?

Die Bandbreite der Studienergebnisse ist so gross, da überrascht mich fast nichts mehr. Nur so viel: Es gibt bisher ganz wenig Evidenz zu sozioökonomischen Faktoren. Wir haben aus der Schweiz praktisch keine Daten dazu. Aber in England sagt ein ganz grosser Teil der Arbeitstätigen, dass sie auch nach der Erkrankung Probleme haben, viele sind sogar nicht mehr voll arbeitsfähig. Man spricht dort von 50 bis 70 Prozent! Die Zahlen scheinen wahnsinnig hoch zu sein. Ich bin gespannt auf die Ergebnisse der Long-Covid-Studie in Bezug auf die Schweiz und ich hoffe sehr, dass die Zahlen hier um einiges tiefer ausfallen werden.

Prof. Dr. Milo Puhan

Milo Puhan ist Professor für Epidemiologie und Public Health an der Universität Zürich und Direktor des Instituts für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention. Er ist Mitgründer der Corona Immunitas Initiative, eines wissenschaftlichen Programms, das die Ausbreitung und Auswirkung von Covid-19 erforscht.

Mehr über Corona Immunitas

Teilen