Dossier: Gewohnheiten ändern

«Das Gehirn liebt Gewohnheiten!»

Was hat das Gehirn nur dagegen, dass wir unsere Gewohnheiten ändern? Besitzt der Mensch überhaupt einen freien Willen? Antworten hat der renommierte Hirnforscher und Philosoph Gerhard Roth.

Text: Ruth Jahn

Wann haben Sie sich zuletzt von einer Gewohnheit leiten lassen und es dann bedauert?

Prof. Gerhard Roth: Kürzlich bin ich, in Gedanken versunken, anstatt nach Hause zu einem alten Wohnort gefahren, an dem ich zwei Jahrzehnte gewohnt hatte.

Routinen bestimmen unser Leben. Vom Aufbrühen des Morgenkaffees über die Entscheidung, welchen Arbeitsweg wir nehmen, bis zum Zähneputzen vor dem Schlafengehen. Warum eigentlich?

Über 80 Prozent unseres Tuns erledigen wir automatisch, ohne darüber nachzudenken. Das Gehirn strebt danach, alles in Routine zu verwandeln. Denn: Denken ist aufwendig! Routinen helfen dem Gehirn, Energie zu sparen und Risiken zu minimieren. Das ist neurobiologisch sinnvoll, ja überlebenswichtig. Manchmal aber auch ungünstig. Zum Beispiel, wenn wir uns etwas Ungesundes angewöhnt haben.

«Denken ist aufwendig! Routinen helfen dem Gehirn, Energie zu sparen und Risiken zu minimieren. Das ist neurobiologisch sinnvoll, ja überlebenswichtig.»
Prof. Gerhard Roth

Warum ist es so schwierig, ein einmal eingeschliffenes Verhalten zu ändern?

Vor der Geburt und in den ersten Lebensjahren ist das Gehirn noch sehr plastisch. Spätestens Ende der Pubertät nimmt die Plastizität des Gehirns aber stark ab. Das Gehirn denkt sich immer öfter: Genug getestet! Diese Änderungen sind mir jetzt zu aufwendig. Das Gehirn belohnt uns bei Gewohnheiten mit hirneigenen Opioiden. Davon werden wir regelrecht abhängig. Im Laufe des Lebens nimmt die Mühe stetig zu, eine Gewohnheit zu ändern.

Wo sitzt die Gewohnheit im Gehirn?

Wenn wir etwas zum allerersten Mal erlernen, wird dies von unserer Grosshirnrinde gesteuert. Nach mehrmaligem Durchspielen wird dieses Verhalten zur Routine. Die entsprechenden Informationen rutschen in unsere Basalganglien tief im Innern des Gehirns. Dort werden sie als feste Abläufe gespeichert, die nicht mehr ausgelöscht werden können. Eine alte Gewohnheit durch eine neue ausser Kraft zu setzen, gehört deshalb zum Schwierigsten, was es gibt.

«Eine alte Gewohnheit durch eine neue ausser Kraft zu setzen, gehört deshalb zum Schwierigsten, was es gibt.»
Prof. Gerhard Roth

Wenn wir unser Verhalten ändern wollen, macht das Gehirn uns quasi einen Strich durch die Rechnung?

Genau. Das Gehirn wehrt sich. Es ist zwar ein Apparat, mit dem man lernen und umlernen kann. Das Umlernen ist aber ungleich schwieriger.

Wenn ich mich nun davon nicht abschrecken lassen will: Was sind denn gute Voraussetzungen für ein Umlernen?

Es braucht Übung und Motivation. Wie bei einem Klavierschüler, der eine Sonate von Beethoven einstudiert. Zuerst spielt er stümperhaft. Aber nach acht Wochen spielt er schon passabel. Sofern er regelmässig übt und motiviert ist.

Wie motiviere ich mich am besten?

Als Hirnforscher weiss ich: Nur wenige Faktoren können unser Verhalten grundsätzlich verändern. Neben der Wiederholung braucht es Leidensdruck. Oder die Aussicht auf Belohnung. Besonders hilfreich ist es, wenn das Verhalten an eine Person gekoppelt ist, an die wir stark gebunden sind. Der letzte Kick für eine Verhaltensänderung kommt immer von aussen!

Können Sie uns ein Beispiel geben?

Nehmen wir an, die Ehefrau möchte, dass der Ehemann seine schmutzige Wäsche nicht mehrrumliegen lässt. Die besten Chancen hat sie, wenn sie ihm droht, dass sie sonst ihre Koffer packt. Angst vor Bestrafung ist ein starker Stimulus. Zudem sollte sie ihn möglichst oft an die schmutzigen Socken erinnern, denn er muss das Verhalten einüben können. Einer Strafandrohung sollte aber immer eine Belohnung folgen – wodurch auch immer!

Ich kann mich doch auch selbst, ohne Druck, motivieren!

Nur begrenzt: Meine Aussicht auf Belohnung muss grösser sein als der Benefit, den mir meine Aufräum-Vermeidungsstrategie bringt.

Haben wir denn überhaupt einen freien Willen?

Theoretisch gesehen ist unser Dasein eher unfrei. Denn bei Gewohnheiten fragen wir nicht mehr danach, ob unser Tun gut ist und welche Konsequenzen es hat. Das entlastet uns aber erheblich, da wir uns nicht über jede Handlung den Kopf zerbrechen müssen. Eine gewisse Stabilität im Fühlen und im Handeln erleichtert ja auch das Leben. Denn so wird unser Verhalten für andere ein Stück weit voraussehbar.

Professor Gerhard Roth ist promovierter Philosoph und Biologe. Er ist Professor für Verhaltensphysiologie und Entwicklungsneurobiologie an der Universität Bremen. Er leitet die Roth GmbH – Applied Neuroscience und das Roth Institut, beide in Bremen.

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