Dossier: Junge Erwachsene

«Ich sitze von morgens bis abends am Handy»

Levin P.* wird bald 18. Mehrere Stunden am Tag verbringt er mit Handy oder Spielkonsole. Und er räumt selber ein, dass er onlinesüchtig ist und fast täglich mit sich selbst kämpft.

Interview: Robert Wildi; Foto: Unsplash

Wie viele Stunden pro Tag verbringst du im Durchschnitt mit elektronischen Medien?

Wenn ich einen Mittelwert über die ganze Woche nehme, und zwar in Schulzeiten, sind es täglich so fünf bis sechs Stunden. Unter der Woche etwas weniger, am Wochenende dafür deutlich mehr, genauso wie in Ferienzeiten.

Findest du selbst, dass das zu viel ist?

Ja. Ich habe mich erstmals selbst hinterfragt, als sich meine Noten vor zwei Jahren deutlich verschlechterten. Ich war früher ein guter Schüler. Aber wegen meines hohen Medienkonsums investierte ich immer weniger Zeit in Hausaufgaben und Lernen. Ich schaffte mit Feuerwehr- und Nachtübungen immer wieder knapp einen genügenden Notendurchschnitt, war aber danach komplett erschöpft. Und im nächsten Semester begann das Ganze von vorne. Zu viel Medienzeit, zu wenig Schularbeit.

«Es fällt mir wirklich schwer, mich dazu aufzuraffen, in der Freizeit Kollegen zu treffen oder einfach mal rauszugehen.»
Levin P.

Du bezeichnest dich selbst als onlinesüchtig.

Ja, denn es fällt mir wirklich schwer, mich dazu aufzuraffen, in der Freizeit Kollegen zu treffen oder einfach mal rauszugehen.

Trotzdem kannst du dich nicht von den elektronischen Medien lösen. Was würdest du denn lieber tun als gamen?

Früher habe ich viel Sport getrieben, vor allem Fussball und Tennis. Damit habe ich aber zwischenzeitlich aufgehört. Seit einigen Monaten gehe ich nun zumindest hin und wieder ins Fitnessstudio und zum Fussballtraining. Das tut mir gut und ich hoffe, dass ich so mein Freizeitverhalten wieder nachhaltig verändern kann

Das klingt noch nicht ganz überzeugend. Wie zuversichtlich bist du, dass dir das gelingt?

Manchmal mehr, manchmal weniger. Es gibt immer noch zu viele Tage, an denen ich von morgens bis abends am Handy und an der Spielkonsole sitze oder liege. Das nervt mich selbst, und trotzdem passiert es regelmässig.

«Wenn ich gewinne, euphorisiert mich das und ich will das Gefühl beim nächsten Spiel gleich nochmal spüren.»
Levin P.

Was ist denn so faszinierend daran, dass du ganze Tage dafür opferst?

Ich glaube, dass bei der Programmierung vieler Computerspiele Psychologen mit am Werk sind. Wenn ich gewinne, euphorisiert mich das und ich will das Gefühl beim nächsten Spiel gleich nochmals spüren. Wenn ich verliere, ärgert es mich und ich spiele so lange weiter, bis ich gewinne. Und bei manchen Spielen geht man nach dem Ende automatisch wieder an den Start – das geht dann endlos so weiter, solange man nicht aus eigenem Antrieb aussteigt.

Und dazu fehlt dir im letzten Schritt der Wille?

Ich empfinde es in dem Moment nicht so, sondern es macht eben einfach Spass, weiterzuspielen. Dass ich vielleicht früher hätte aufhören sollen, fällt mir meistens erst am Abend ein.

Nach der Corona-Pause dürfte bald wieder ein geregelter Schulalltag zurückkehren. Wie willst du das angehen?

Es ist mein klares Ziel, in einem Jahr die Matura abzuschliessen. Ich nehme mich selbst in die Pflicht, dafür auch genug zu arbeiten und zu lernen. Ich weiss, dass ich meinen Onlinekonsum dafür drosseln muss.

Und wenn dir das nicht gelingt?

Dann werde ich schnell fachliche Hilfe suchen, weil ich keine Lust auf eine Repetition oder gar einen Schulabbruch habe. Das habe ich auch mit meinen Eltern so besprochen. Sie unterstützen mich natürlich dabei.

(*) Name von der Redaktion geändert

Das sagt der Experte: Onlinesucht bekämpfen

Die Schilderungen von Levin wirken auf den Psychologen und Psychotherapeuten Franz Eidenbenz ehrlich und authentisch. Als Leiter Behandlung am Zentrum für Spielsucht Radix in Zürich hat er über Jahre unzählige Erfahrungen zur Suchtthematik rund um die neuen Medien gesammelt. Tendenz steigend. Levins Plan zum Selbstausstieg sieht er kritisch. Es komme darauf an, wie lange das Problem schon bestehe: «Wenn sich schon eine Onlinesucht entwickelt hat, also negative Folgen wie Vernachlässigung von Freizeitinteressen und Nachlassen der Schulleistung über ein Jahr anhalten, ist das schwierig.» Betroffene würden oft zu lange glauben, selbst wieder auf Kurs kommen zu können, auch wenn sie die Kontrolle längst verloren hätten. Ohne professionelle Hilfe gelinge dies meist aber nicht.

«Onlinesucht ist heilbar»

Eine wesentliche Rolle beim Ausstieg aus der Sucht nehmen laut Eidenbenz Familie und Freunde ein. Das engste Umfeld bemerkt das Problem oft zuerst und erkennt den Handlungsbedarf. Gemeinsam können entscheidende Schritte angegangen werden. «Wenn etwa Eltern ihre Besorgnis ausdrücken und bereit sind, gemeinsam Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist dies am erfolgversprechendsten.» Denn auch wenn es auf den ersten Blick oft so aussehen mag, «sind den Betroffenen die Angehörigen nicht egal».

Der Psychologe und Therapeut formuliert die Grundregel so: «Wenn sich der Onlinekonsum zum Beispiel innerhalb eines halben Jahres nicht normalisiert, macht eine Suchtberatung Sinn.» Zwar seien die Veränderungen nur von den betroffenen Jugendlichen selbst sowie deren Eltern umsetzbar. Gleichwohl helfe eine gute Fachstelle mit, das Problem anzupacken. Die Erfahrungen von Franz Eidenbenz sowie Forschungserkenntnisse zeigen klar: «Onlinesucht ist heilbar.»

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