«Wir sind ein tolles Team»

Gleich und Gleich gesellt sich gern? Im Falle der Seniorin Gila Fankhauser und des Studenten Daniel Schmitz trifft die Redensart nicht zu. Und doch leben die beiden seit Kurzem in einer Wohngemeinschaft (WG).

Text: Janine Radlingmayr, Foto: Per Kasch

Inmitten ihrer hellen Wohnküche mit gelben Blumen auf dem Fenstersims und Familienfotos im Regal sitzt Gila Fankhauser – rot geschminkte Lippen, die durchweg ein Lächeln ziert. «Daniel ist eine echte Bereicherung für mein Leben», sagt sie. Der junge Student, der in ihrer Küche eine Melone aufschneidet, ist allerdings nicht ihr Enkel, sondern ihr Mitbewohner. Seit einem Monat leben sie zusammen als WG – zwei Wochen davon in Gila Fankhausers alter Wohnung, seit zwei Wochen nun im Hunziker-Areal in Zürich Oerlikon. Ein dritter Mitbewohner, der 49-jährige Reto, zieht in den nächsten Tagen ein.

Für Gila Fankhauser ist Mitbewohner Daniel Schmitz ein echter Glücksfall, denn die 66-Jährige leidet seit zehn Jahren an Rheuma. Das bedeutet neben zunehmenden Schmerzen auch immer mehr Einschränkungen im Alltag. «Daniel hilft mir nun mit den Einkäufen, putzt die Wohnung und dreht mir das Konfiglas am Morgen auf», freut sich Gila Fankhauser. Für Daniel Schmitz war nach einigen Besuchen in WGs mit etwa gleichaltrigen Mitbewohnenden klar, dass das nicht unbedingt etwas für ihn war. In Herrliberg bei seinen Eltern wollte er allerdings auch nicht wohnen bleiben. «Ich finde, um selbstständig zu werden, muss man ausziehen und Verantwortung übernehmen.» Und so bewarb sich der 19-Jährige bei der Pro Senectute Kanton Zürich. Über seine Schwester hatte er von deren Angebot «Wohnen für Hilfe» gehört: Während seines Informatikstudiums an der ETH könne er einer Seniorin oder einem Senior im Alltag unter die Arme greifen und dafür günstig wohnen.

Wohnen für Hilfe

Mit dem Hund spazieren gehen, im Alltag unterstützen, den Garten pflegen, auf die Gebrechen Rücksicht nehmen oder einfach da sein: Das Angebot «Wohnen für Hilfe» von Pro Senectute Kanton Zürich ist vielfältig. Für zwei Probleme findet sich eine Lösung: Einerseits ist Wohnraum für Studierende in Zürich so knapp wie teuer, andererseits leben viele ältere Menschen in grossen Wohnungen und Häusern und sind einsam oder brauchen Unterstützung. Als Tauschregel gilt Wohnen gegen Mithilfe: eine Stunde Hilfe pro Monat gegen einen Quadratmeter Wohnraum.

Doch nicht jeder Studierende, der sich bei Pro Senectute Kanton Zürich meldet, wird auch vermittelt: «Studierende, die einfach nur günstig oder gratis wohnen wollen, brauchen wir nicht», sagt Andrea Ziegler, Koordinatorin von «Wohnen für Hilfe». «Wir müssen spüren, dass eine verbindliche Bereitschaft da ist, sich zu engagieren.» Das Zusammenleben – speziell das Zusammenleben von Jung und Alt – sei eben nicht jedermanns Sache. «Es erfordert eine Offenheit, die nicht unbedingt nur mit dem Alter zu tun hat. Es hat mehr mit der Persönlichkeit zu tun und damit, wie hoch die Bereitschaft ist, seinen Wohnraum zu teilen und sich zu öffnen», sagt die erfahrene Sozialarbeiterin. Wer zu wem kommt? «Man schaut sich die Wünsche, Hobbys und Interessen der Senioren und der Studierenden an und gleicht diese miteinander ab», erklärt Ziegler.

«Wir sind beide grosszügig und rücksichtsvoll. »
Gila Fankhauser

Gerade die gemeinsamen Interessen waren es auch, die Gila Fankhauser überzeugten. Bei Daniel Schmitz und ihr waren es Neugier, Offenheit und Freude an Musik. «Ich habe ganz bewusst einen offenen, jungen Studenten gesucht, der mich im Alltag unterstützt. Vor allem auch beim Kochen – meiner grossen Leidenschaft», erzählt sie, während ihr Mitbewohner die ersten Gäste zum Mittagstisch in die Wohnung lässt. Der Mittagstisch ist nämlich etwas, was Gila Fankhauser seit zwei Jahren meist freitags bei sich zu Hause veranstaltet. Ohne die Hilfe von Daniel Schmitz beim Einkaufen, Rüsten und Heben schwerer Töpfe hätte sie dies bald nicht mehr realisieren können. «Mit dem Mittagstisch hole ich mir die Welt nach Hause. Jeder kann sich für einen feinen Zmittag bei mir anmelden, gibt ein Zwanzigernötli und wird mit drei hausgemachten Gängen bekocht», sagt Fankhauser, die wegen ihrer chronischen Polyarthritis die Wohnung immer seltener verlassen kann. «Mit dem Essen lade ich neue Menschen zu mir ein, oft entstehen Freundschaften, wir reden und tauschen uns aus. Das ist wichtig.» Einer ihrer Gäste heute ist der 68-jährige Willi vom Greifensee. «Da ich alleine lebe und nicht gut koche, nutze ich regelmässig verschiedene Mittagstische. Mit meinem Generalabonnement fahre ich für ein gutes Essen in netter Runde schon einige Kilometer.»  

Win-win-Situation

«Mit Gila und mir hat es von Anfang an mega funktioniert», sagt Daniel Schmitz, der sich zudem darüber freut, so viel von ihr lernen zu können – auch über das Kochen hinaus. Der Umzug in die neue Wohnung hat die beiden zusätzlich zusammengeschweisst. «Das war eine grosse Herausforderung, bei der wir uns gut kennengelernt haben», sagt Schmitz, der nicht nur viele von Gilas Kartons gepackt, sondern diese am Ende auch geschleppt hat, als das Zügelunternehmen versagte. «Denen hat Gila aber was erzählt. Und ich habe gelernt, dass man hart bleiben muss. Wir bekamen dann eine Reduktion.» Er schätze diese Art von Lebensschule sehr: «Eine echte Win-win-Situation. Wir sind ein tolles Team.»

Gilas drei Kinder finden die WG ihrer Mutter gut. Es gab bereits ein gemeinsames Grillfest mit beiden Familien – damit sich alle kennenlernten. «Bei einer Wohngemeinschaft unter Gleichaltrigen wäre das ja eher unerwünscht und vermutlich vielen peinlich», meint Daniel Schmitz. Sein Arbeits- und Mietvertrag bei Gila Fankhauser ist unbefristet. «Er bleibt, bis er neue Pläne hat – oder ich», sagt Fankhauser und lächelt ihren Mitbewohner an. Und als würden sie sich schon ewig kennen, lächelt er zustimmend zurück.

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