Vom Aussteigen, Vagabundieren und Finden einer neuen Heimat
Daniel Rödel, 42, hat den Traum vieler in die Tat umgesetzt: Er hat seinen Job gekündigt und ist mit seiner Frau und den drei Kindern nach Südamerika aufgebrochen – und heute immer noch dort.
«Mein Alltag in der Schweiz war geprägt von der Arbeit für andere. 13-und-mehr-Stunden-Tage gehörten als Art Director und Creative Director in der Werbebranche einfach automatisch dazu. Dann kam das Burn-out. Ich wusste: Ich muss eine Entscheidung treffen, etwas ändern, einen Sinn im Tun finden. Da mir mein Arbeitgeber kein Sabbatical zugestand, entschied ich spontan zu kündigen. Kurze Zeit darauf waren meine Familie und ich zu fünft in Uruguay , bauten einen Van namens Bob familientauglich um und hatten keinen konkreten Plan, wohin es gehen sollte. Doch nach der ersten Euphorie kam der Realitätsschock und ich stürzte in eine Depression: Hatten wir richtig entschieden? War das alles, was wir noch besassen? Dieser alte Camper? Es war so schnell gegangen.
Dabei bin ich eigentlich ein rationaler Mensch. Vor einer wichtigen Entscheidung studiere ich Statistiken, sammle Facts, lese viel. Bis ich merke, dass ich das alles nicht 1:1 auf mich übertragen kann. Dann versuche ich mich von allem Recherchierten wieder frei zu machen und in mich hineinzuhören. Das ist ein schwieriger Prozess voller Zweifel. Aber Unsicherheit gehört dazu. Niemand weiss, welcher Weg Glück oder Pech verheisst. Mir hilft die Erfahrung, dass sich auch scheinbar falsche Entscheidungen zum Positiven wenden und wichtig für den Lebensweg sein können. Ein Beispiel: Nach dem ersten Schock lernte ich, wieder frei zu sein, zu beobachten und zuzuhören. Die Kinder waren glücklich mit der Natur und dem einfachen Leben, ganz anders als daheim nach der Kita. Doch nach zwei Jahren purer Freiheit auf den Strassen Uruguays, Brasiliens, Argentiniens, Paraguays, Chiles, Boliviens und Perus bekam ich meine Traumstelle in Bern angeboten. Ich haderte. Und wir entschieden uns, dass ich erstmal alleine zurückkehre. Vor Ort merkte ich schnell, dass die Schweiz keine Option mehr für mich war. Aber Neues entstand: Meine Frau und ich wollten nun einen Schritt weitergehen und ein eigenes Modelabel gründen, hinter dem wir zu 100 Prozent stehen können.
So war es oft. Wir sind Meister im Umentscheiden. Aus einem geplanten Reisejahr wurden zwei, aus der geplanten Rückkehr ein neues Abenteuer: die Anden Perus, das heilige Tal der Inkas, unsere neue Wahlheimat. Heute leben wir mit sieben Pferden, zwei Hunden, drei Katzen und Hühnern in einem traditionellen Bauernhaus aus Lehm. Wir haben Pacabamba gegründet, ein Fair-Fashion-Label, das die heimische Bevölkerung unterstützt. Während der Pandemie retteten wir misshandelte Touristenpferde und riefen eine Reittherapie für vernachlässigte Kinder ins Leben. Damit sich unsere Kinder einmal frei entscheiden können, suchen wir nun ein international anerkanntes Online-Angebot für ihre Schulbildung.
Oft werden wir für unsere Entscheidungen von Familie und Freunden aus der Schweiz erst mal belächelt. Aber man gewöhnt sich daran. Ich bin froh, dass wir es gewagt und uns bewusst für die gemeinsame Zeit mit unseren Kindern und sinnerfüllte Projekte entschieden haben.»