Kampf den multiresistenten Keimen
Im Gegensatz zu anderen Bakterien bleiben bei multiresistenten Keimen eine Vielzahl von Antibiotika wirkungslos. Die Ursache des Problems ist aber auch ein Teil der Lösung: weniger Antibiotika, sagt Philipp Jent, Leiter Infektionsprävention am Inselspital Bern.
Sanitas: Wann spricht man von einem multiresistenten Keim?
Philipp Jent: Infektionen, die durch Bakterien verursacht werden, lassen sich meist gut mit Antibiotika behandeln. Es gibt allerdings Bakterien, die auf eine Vielzahl oder sogar alle Antibiotikagruppen unempfindlich reagieren. In diesem Fall spricht man von multi- beziehungsweise panresistenten Erregern.
Wie verbreitet sind resistente Bakterien?
Weltweit sind multiresistente Keime häufig und ihre Zahl ist in den letzten Jahren gestiegen. In der Schweiz zeigt sich ein etwas besseres Bild: Die schlimmsten multiresistenten Keime wie Carbapenemasebildner treten hauptsächlich bei Personen auf, die aus dem Ausland zurückkehren. Das sind Darm- oder Umweltbakterien, die auch gegen sehr breite Reserveantibiotika resistent sind. Etwas weniger resistente Darmbakterien, sogenannte ESBL-Bildner, sind aber auch in der Schweiz verbreitet. Zudem werden in den letzten Jahren vermehrt Vancomycin-resistente Enterokokken nachgewiesen, ein anderes Darmbakterium mit Resistenz gegen die meisten Antibiotika.
Sind diese widerstandsfähigen Keime ein menschengemachtes Problem?
Bakterien sind für uns lebenswichtig. Manche von ihnen tragen von Natur aus Gene in sich, die Resistenzen gegen Antibiotika vermitteln. Diese resistenten Bakterien verschwinden aber in der Masse anderer Bakterien. Mit der Einnahme von Antibiotika töten wir nichtresistente Bakterien. Antibiotika verschaffen resistenten Bakterien also einen Überlebensvorteil und bringen den Bakterienhaushalt aus dem Gleichgewicht.
Welcher Zusammenhang besteht zwischen Antibiotika und der Zunahme resistenter Keime?
Die europäischen Zahlen zeigen, dass sich das Problem mit den resistenten Keimen überall dort verschärft, wo die Verschreibungszahlen von Antibiotika hoch sind. Gleichzeitig konnte man etwa in Frankreich beobachten, dass gewisse Keime Resistenzen verlieren, wenn bestimmte Antibiotikagruppen seltener verschrieben werden.
Werden Antibiotika also zu leichtfertig verschrieben?
Leider ja. Antibiotika sind eine der wichtigsten medizinischen Errungenschaften. Wir sollten sie deshalb als wertvolle Ressource betrachten und nur ganz gezielt einsetzen. Ein beträchtlicher Anteil der Antibiotika wird bei Infektionen verabreicht, die meist gar nicht durch Bakterien verursacht sind. Hier stelle ich allerdings eine positive Entwicklung fest. So verschrieb man früher bei Halsentzündungen relativ unkritisch Antibiotika. Heute ist man diesbezüglich zurückhaltender.
Ein Problem ist auch einer der Orte, an denen sich Menschen häufig mit resistenten Keimen anstecken: das Spital.
Im Spital gibt es viele kranke Menschen und dadurch natürlich mehr Leute, die eine Antibiotikatherapie zwingend benötigen. Das führt dazu, dass ein Teil der resistenten Bakterien in Spitälern häufiger vorkommen. Andererseits wird im Spital auch sehr viel unternommen, um Patientinnen und Patienten mit resistenten Keimen zu finden, Übertragungen einzudämmen und so die Gefahr zu minimieren.
Wie gefährlich sind Schweizer Spitäler?
Dank der Bemühungen, Übertragungen von multiresistenten Keimen zu verhindern, sind Schweizer Spitäler ein recht sicherer Ort. Heute kommen multiresistente Bakterien wie ESBL oder MRSA, ein resistenter Hautkeim, ausserhalb des Spitals etwa gleich häufig vor wie im Spital. Trotz allem können in dieser Umgebung mit sehr vulnerablen Patientinnen und Patienten Übertragungen vorkommen. Es ist deshalb wichtig, dass die Spitäler vorsichtig bleiben. Denn in den seltenen Fällen, in denen eine Übertragung zu einer Infektion führt, ist die Therapie schwierig und muss durch Spezialisten erfolgen.
Wie sehen die allgemeinen Massnahmen gegen resistente Keime in Spitälern aus?
Da die Hände ein typischer Übertragungsweg für diese Bakterien sind, gibt es in Spitälern immer wieder Händehygienekampagnen. Auch bezüglich Reinigung von Oberflächen und Aufbereitung von Medizinprodukten halten die Schweizer Spitäler hohe Standards ein. Über Plattformen wie SWISSNOSO Nationales Zentrum für Infektionsprävention sind die Spitäler in ständigem Austausch miteinander. Zudem werden unter anderem bei Menschen, die aus ausländischen Spitälern zu uns kommen, sogenannte Screenings durchgeführt. Das heisst, es wird aktiv nach multiresistenten Keimen gesucht.
Ausländische Spitäler sind also ein Risiko?
Die Situation in der Schweiz ist im internationalen Vergleich sehr gut. Das bedeutet gleichzeitig, dass von Patientinnen und Patienten, die kürzlich erst in einem ausländischen Spital behandelt worden sind, ein höheres Risiko bezüglich resistenter Keime ausgeht. In Norditalien gab es etwa erst kürzlich einen Ausbruch des sehr resistenten Hefepilzes Candida auris, der zu Blutvergiftungen und Bauchinfektionen führen kann.
Was kann jede:r Einzelne tun, um die Übertragung resistenter Keime zu verhindern?
Neben der Einhaltung der üblichen Hygienemassnahmen, mit denen wir seit Covid-19 alle bestens vertraut sind, ist insbesondere eine kritische Haltung gegenüber Antibiotika wichtig.
Was bedeutet das konkret?
Die Klassiker in Sachen unnötige Antibiotikaverschreibungen sind Hals-Rachen-Entzündungen, Mittelohrentzündungen und sonstige Infekte der oberen Atemwege – hier sollte man mit der behandelnden Ärztin oder dem Arzt besprechen, ob eine Antibiotikaeinnahme wirklich nötig ist. Auch bei vermuteten Harnwegsinfektionen kann zum Teil auf Antibiotika verzichtet werden. Antibiotikatherapien sollten so kurz wie möglich sein – die Packung fertig einzunehmen ist oft nicht sinnvoll. Doch die Diskussion muss über die Humanmedizin hinausgehen. Antibiotika werden auch in der Landwirtschaft und der Pflanzenzucht häufig eingesetzt. Dort ist Zurückhaltung äusserst wichtig, denn wir Menschen leben nicht in einem Vakuum, sondern mit Pflanzen und Tieren zusammen. Werden diese resistenter, verstärkt sich auch das Problem auch beim Menschen. Es braucht Bemühungen auf allen Ebenen, um uns die sehr wertvolle Ressource Antibiotika auch für die Zukunft zu erhalten – bei schweren Infektionen sind wir alle darauf angewiesen.