Dossier: Gewohnheiten ändern

Kaizen – die Philosophie der kleinen Schritte

Die meisten grossen Ziele erreichen wir mit kleinen Schritten schneller als mit grossen. Die Japaner nennen dieses Prinzip der ständigen minimalen Verbesserung Kaizen. Eine kurze Einführung.

Text: Robert Wildi

Wie isst man einen Elefanten? Bissen um Bissen. Auch wenn das Sprichwort etwas abgedroschen klingt – seine Kernaussage entspricht genau Kaizen, einer Philosophie, die in der globalen Wirtschaft immer salonfähiger wird. Das Zauberwort setzt sich aus den japanischen Silben «Kai» (Veränderung oder Wandel) und «Zen» (zum Besseren) zusammen. Kaizen steht also für einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess.

«Zusammenfassen lässt sich die Kaizen-Philosophie so: Verbesserung von jedem, immer und überall», sagt Henrik Trettin, Projektleiter der Kaizen Institute Deutschland GmbH. Insbesondere Unternehmen haben erkannt, dass sie mit dieser Philosophie personelle und materielle Verschwendung Schritt für Schritt reduzieren können.

Das Spezielle dieser Methode: Sie bezieht jeden einzelnen Mitarbeitenden mit ein und wird nicht von oben «aufgesetzt». Mit Kaizen erzielte Veränderungen können zu Beginn minimal und kaum wahrnehmbar sein. Nach und nach treten sie spürbar in Erscheinung, da der Verbesserungsprozess ständig weiterläuft.

Toyota, Postmail, Spitäler

Ins internationale Rampenlicht trat Kaizen erstmals in den 1960er-Jahren. Die japanische Automarke Toyota perfektionierte mithilfe der von ihr erfundenen Philosophie sämtliche Produktionsprozesse und sorgte damit in der globalen Autoindustrie für Furore. Nach dem Motto «Wertschöpfung statt Verschwendung» etablierte sich Kaizen seither schrittweise auch in Branchen und Unternehmen der westlichen Welt. Inzwischen setzen auch in der Schweiz bereits etliche Firmen auf Kaizen, zum Beispiel:

  • Die Abteilung Postmail der Schweizer Post AG hat im Jahr 2015 den Esprix Swiss Award for Excellence gewonnen. Ein überzeugendes Argument für die Jury war unter anderem die von der Post angewandte Methodik zur kontinuierlichen Verbesserung der Arbeitsabläufe mittels Kaizen.
  • Das Industrieunternehmen Noventa AG aus dem St. Galler Rheintal, spezialisiert auf die Herstellung von Kunststoffkomponenten, hat im Jahr 2004 seine gesamten Produktionsprozesse nach Kaizen umgestaltet. Die Produktivität ist seither um satte 30 Prozent gestiegen.
  • Auch Schweizer Spitäler haben Kaizen entdeckt. Als Pionier gilt das Kantonsspital Baselland, wo diverse Abläufe erheblich verschlankt wurden, so in den Bereichen Gastronomie, Pflege und Materialbewirtschaftung.

Kaizen im privaten Bereich

Aber nicht nur Unternehmen, Organisationen und Systeme gewinnen dank Kaizen, sondern auch das Individuum. «Und dies nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch im privaten Umfeld», ist Henrik Trettin überzeugt. Wie das? Wichtig sei, dass man sich zuerst ein klar definiertes Ziel stecke, zum Beispiel «mehr bewegen».

Dieses Ziel erreicht man nach Kaizen in kleinen Schritten. «Zum Beispiel», so Trettin, «steigt man im Lift einen Stock früher aus und geht noch eine Treppe hinauf. Irgendwann packt man ein zweites Stockwerk dazu und fährt so weiter, bis die antrainierte Fitness den Lift vollkommen überflüssig macht.»

Das klingt etwas banal, ist aber trotzdem – oder gerade deshalb – ešffizient. Die Strategie der kleinen, verkrabaren Schritte verhindert in der Regel, dass man frühzeitig und frustriert aufgibt. «Um nachhaltige Resultate zu erzielen, ist jedoch Durchhaltevermögen eine zwingende Voraussetzung von Kaizen», fügt Henrik Trettin an. Anders gesagt: Der Weg ist Bestandteil des Ziels. Schliesslich soll der Elefant irgendwann ganz verspeist sein.

Kaizen für Bewegungsmuffel

Regelmässige Bewegung macht fit, hält schlank und ist nachweislich die beste Prävention gegen Herz-Kreislauf-Krankheiten. Nur, wie kann man sich dafür motivieren? Probieren Sie es mit Kaizen! Setzen Sie sich am Anfang ein klares Ziel. Jemand, der gesund ist, kann sich beispielsweise vornehmen: Ich möchte täglich die von Bewegungsexperten empfohlenen 10 000 Schritte gehen.

Beginnen Sie mit einem täglichen kurzen Spaziergang über 2000 bis 3000 Schritte in gemächlichen Tempo. Nach einiger Zeit steigern Sie auf 4000 bis 5000 Schritte und gehen etwas schneller. Langsam aber stetig nähern Sie sich Ihrem vorgenommenen Ziel an.

Henrik Trettin ist Projektleiter bei der Kaizen Institute Consulting Group. In dieser Funktion begleitet und unterstützt er Unternehmen verschiedenster Branchen in internationalen und nationalen Projekten bei der erfolgreichen Einführung von Kaizen.

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