Dossier: Covid-19

Im Eilverfahren zum sicheren Covid-Impfstoff?

Die schnelle Zulassung der Covid-Impfstoffe ist für die einen herbeigesehnter Segen, andere fühlen sich vom Tempo verunsichert. Lukas Jaggi, Mediensprecher bei Swissmedic, erklärt im Gespräch unter anderem, wie die schweizerische Zulassungsbehörde bei der Prüfung der Vakzine vorgeht.

Text: Helwi Braunmiller; Foto: iStock

Herr Jaggi, fast im Akkord werden derzeit die Impfstoffe gegen Covid-19 durch Swissmedic zugelassen. Wie läuft so eine Freigabe ab?

Die Pharmafirma stellt das Zulassungsgesuch. Was genau dieses Gesuch enthalten muss und wie die Unterlagen strukturiert sein müssen, ist international abgestimmt. Meist bestehen die Unterlagen aus mehreren Tausend Seiten – früher noch in Papierform. Heute werden sie fast nur noch elektronisch über unser digitales Portal eingereicht. Unsere wissenschaftlichen Expertinnen und Experten begutachten die eingereichten Daten und nehmen eine Nutzen-Risiko-Bewertung vor.

Wie lange dauert der Zulassungsprozess eines Impfstoffs normalerweise?

Das hängt vom Verfahren ab. Das Standardverfahren dauert üblicherweise etwa 530 Tage. Davon liegt der Ball etwa 300 Tage bei Swissmedic, den Rest der Zeit spielen wir ihn wieder an die Firmen zurück, zum Beispiel, weil es Rückfragen unsererseits gibt. 

Bei der Zulassung der Covid-Impfstoffe ging das deutlich schneller.

Angesichts der Pandemie-Situation ermöglicht Swissmedic die schrittweise Einreichung der Zulassungsunterlagen. Mit dieser rollenden Prüfung können die Firmen ein Gesuch einreichen, bevor die klinischen Studien vollständig abgeschlossen sind. Swissmedic prüft dann die laufend eingereichten Daten kontinuierlich. Das beschleunigt den Prozess deutlich. Zusätzliche Zeitersparnis bringt die befristete Zulassung, die bei den beiden bislang freigegebenen Covid-19-Impfstoffen zum Einsatz kam. Sie hat den Vorteil, dass beim Entscheid noch nicht alle Daten aus länger dauernden Studien vorliegen müssen. Ein erster Zulassungsentscheid kann so bereits gefällt werden, während die klinischen Studien noch weiter laufen.   

Und nicht zuletzt trägt auch die intensive internationale Zusammenarbeit unter den Heilmittelbehörden dazu bei, den Prozess zu beschleunigen.

Dieses Eilverfahren verunsichert viele Menschen. Bleibt so überhaupt ausreichend Zeit für eine gründliche Prüfung?

Diese Befürchtungen sind nachvollziehbar. Aber: Die Sicherheit der Empfängerinnen und Empfänger hat immer oberste Priorität. Die Anforderungen an die Impfstoffe in Bezug auf Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität sind sehr hoch und wegen der besonderen aktuellen Situation nicht aufgeweicht worden. Die Zeitspanne verkürzt sich also nicht, weil wir oberflächlicher prüfen, sondern weil wir alle Gesuche für Impfstoffe oder Medikamente gegen Covid-19 rollend begutachten und ganze Teams sich auf eine einziges Gesuch konzentrieren, statt wie sonst mehrere parallel. Ausserdem hatten wir dank Vorgespräche mit den Herstellern bereits vor dem Zulassungsantrag ein gutes Vorwissen über die neuen Impfstoffe.

Wer begutachtet die eingereichten Unterlagen eigentlich?

Das sind interdisziplinäre Teams aus wissenschaftlichen Expertinnen und Experten von Swissmedic – Mediziner, Toxikologinnen, Pharmazeuten, Chemikerinnen oder Pharmakologen sowie Spezialistinnen für Gentherapien.  

Und wenn dabei Unklarheiten auftauchen?

Dann stellen die Expertinnen und Experten ihre Fragen direkt an die Gesuchsteller. Zur Qualitätssicherung werden Zwischenergebnisse zudem mit Kollegen des gleichen Fachgebiets ausserhalb des Case Teams besprochen. Ausserdem tauschen sich die Arbeitsgruppen ständig auch mit Gremien anderer Zulassungsbehörden aus.

Wann ist es dann so weit, dass ein Impfstoff oder ein Medikament zugelassen wird?

Sobald aus der Dokumentation hervorgeht, dass der erwartete Nutzen grösser ist als die potenziellen Risiken. Ausschlaggebend dafür sind Daten aus sogenannten Phase-III-Studien – Zulassungsstudien mit tausenden von Teilnehmern.  

Das Nutzen-Risiko-Profil ist bei Impfstoffen besonders heikel, weil sie ja gesunden Menschen verabreicht werden, die man einem möglichst geringen Risiko aussetzen will.

Deshalb gibt es hier keine Kompromisse: Die Abwägung von Nutzen und Risiken erfolgt ganz unabhängig von der epidemiologischen Lage. Zudem werden die Impfstoffe auch nach der Einführung eng überwacht, um sehr seltene Nebenwirkungen oder noch nicht bekannte Nebenwirkungen rasch zu erkennen.

Müsste man neuartige Impfstoffe wie beispielsweise jene auf mRNA-Basis nicht besonders kritisch und ausgiebig prüfen?

Die mRNA-Plattform ist ja nicht völlig neu. Es gibt langjährige Grundlagenforschung und Erfahrungen mit mRNA-Impfstoffen beim Menschen im Rahmen klinischer Versuche, etwa mit einem therapeutischen Tumorimpfstoff.

mRNA-Impfstoffe gegen das neuartige Coronavirus vermitteln den menschlichen Zellen die Anweisungen zur Herstellung der Antigene, die eine Immunantwort auslösen. Auch hier gilt: Die Hersteller müssen in den Zulassungsunterlagen belegen, dass diese Impfstoffe genauso sicher, wirksam und qualitativ einwandfrei sind wie herkömmliche Impfstoffe mit inaktivierten bzw. abgeschwächten Viren oder Virenbestandteilen.

Wann wird der Covid-Impfstoff auch für Kinder freigegeben?

Aus ethischen Gründen nehmen Kinder in der Regel nicht an den ersten Studien zu neuen Medikamenten und Impfstoffen teil – das gilt auch beim Covid-19-Impfstoff. Sobald Studien mit Kindern und Jugendlichen durchgeführt worden sind und aussagekräftige Daten vorliegen, kann die Indikation erweitert werden. Seitdem das revidierte Heilmittelgesetzes 2019 in Kraft getreten ist, müssen die Firmen bei der Zulassung auch ein Prüfkonzept für Kinder einreichen, um die Entwicklung von pädiatrischen Arzneimitteln zu fördern. Darin wird aufgezeigt, wie die erforderlichen Studiendaten mit Kindern erhoben werden, wenn dies sicher ist.

Gibt es Unterschiede im Zulassungsverfahren von Medikamenten und Impfstoffen?

Keine wesentlichen – bei Impfstoffen besonders ist lediglich die behördliche Chargenfreigabe nach einer Zulassung: Bevor Impfstoffe auf den Markt kommen, wird jede Charge gestützt auf offizielle Laboranalysen und Zertifikate geprüft und freigegeben.

Wie geht es nun mit der Zulassung anderer Covid-Impfstoffe weiter?

Swissmedic prüft im Moment noch zwei Zulassungsgesuche der Firmen AstraZeneca – der sogenannte Oxford-Impfstoff – und Janssen-Cilag/Johnson & Johnson. Wenn alles gut läuft und wir die noch benötigten Daten zur Sicherheit und Qualität erhalten, kann hoffentlich bereits in den nächsten Wochen mindestens ein weiterer Impfstoff zugelassen werden.

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