Dossier: Sexualität

So gelingt Sexualität im Alter

Die Psycho- und Sexualtherapeutin Dania Schiftan erklärt, worauf man bei Liebe und Sexualität im Alter besonders achten muss und welche gesundheitlichen Effekte Sex und Liebe haben können.

Text: Anne-Sophie Keller; Foto: Wim Moelmann

Sexualität im Alter gilt als grosses Tabuthema und ist als solches auch noch wenig erforscht. Die geläufige Annahme lautet in etwa folgendermassen: der Hormonspiegel sinkt und mit ihm die Libido. Die Zürcher Psycho- und Sexualtherapeutin Dania Schiftan tritt dieser Behauptung jedoch vehement entgegen und stellt klar: Sexualität hat keine Alterslimite. Aber: Sie erfordert mit fortschreitendem Alter ein gewisses Mass an Kreativität und Anpassungsfähigkeit. Denn was früher selbstverständlich lief, läuft jetzt vielleicht nicht mehr so rund.

«Die grosse Herausforderung ist der eigene Körper, der möglicherweise nun an gewissen Stellen weh tut, anders aussieht oder sich anders anfühlt als früher.» Dies anzunehmen und zu akzeptieren, sei ein erster wichtiger Schritt. In einem zweiten Schritt geht es darum, neue Wege zu beschreiten und die eigene Sexualität neu zu entdecken. «Menschen, die sich gewohnt sind, auf eine bestimmte Art Sex zu haben, sehen sich mit zunehmendem Alter mit Problemen konfrontiert, wenn sie es nicht schaffen, ihre Form der Sexualität anzupassen», sagt die Expertin. Wer beispielsweise ein Leben lang in der Missionarsstellung Sex hatte und nun mit Knieproblemen kämpft, muss neue Stellungen für sich entdecken. Allgemein gilt: Wer vorher schon kreativ war, hat es einfacher. 

Was tun bei sexueller Unlust?

«Dass die Lust im Alter per se nachlässt, ist ein Mythos», hält Dania Schiftan fest. Gerade in Altersheimen stelle man immer wieder eine hohe Rate an sexuell übertragbaren Krankheiten fest. Denn: Frisch verliebte Rentnerpaare erleben genauso einen Hormonrausch wie jugendliche Turteltäubchen. Was vielleicht abnimmt, sei der enorm triebgesteuerte Sex. «Slow Sex», also das langsame Herantasten, wird dann zum Thema. «Ein Vorspiel – teilweise auch noch ohne Lust – sowie das Wahrnehmen von feineren Tönen ist lernbar», sagt Dania Schiftan. Menschen, deren Sexualität stark von der Optik geprägt ist und die vielleicht mit weniger straffen Körpern Mühe haben, können indes lernen, mehr über das Spüren zu gehen.

Und was ganz wichtig ist: Sex im Alter kann – aber muss nicht. «Man darf die Sexualität auch mal beiseitelegen, um sich neu zu orientieren. Phasen der Lustlosigkeit sind kein Weltuntergang!» Aber es sei dann schade, wenn man denke, man sei zu alt für Sexualität.

Sexualität der Frauen ab 50

Bei Frauen gelten die Wechseljahre als einschneidendes Erlebnis. Stimmungsschwankungen, Hitzewallungen, Schlafstörungen, vaginale Trockenheit: Die hormonelle Umstellung stellt die weibliche Sexualität vor Herausforderungen. Was dagegen hilft? Sich mit sich selbst, seiner Psyche und dem veränderten Körper auseinandersetzen. Zudem gibt es zahlreiche Mittel, die Frauen in der Menopause unterstützen können: Salbeitee hilft gegen übermässiges Schwitzen, Johanniskraut kann die Stimmung regulieren, Gleitgel befeuchtet die Schleimhäute. Und auch hier gilt es, neue Gebiete zu erschliessen: «Bei Frauen ist die Klitoris nach den Wechseljahren oft weniger empfindlich. Sie können lernen, neue erogene Zonen zu erkunden», so Schiftan.

Männliche Sexualität im Alter

Erektionsstörungen im Alter stellen für viele Männer eine grosse Hürde dar: «Es gibt Männer, die denken, sie haben nur dann Lust auf Sex, wenn ihr Penis zu hundert Prozent steif ist. Und dass alles andere nicht funktioniert», beschreibt Dania Schiftan ihre Erfahrung aus der Therapiepraxis. Laut einer US-Studie leiden 52 Prozent der Männer zwischen 40 und 70 Jahren an einer erektilen Dysfunktion, erzählt Prof. Dr. med. Nicolas Diehm vom Zentrum für Erektionsstörungen im Sanitas Interview. In der Schweiz sind das rund 350 000 Männer. Als Hauptgründe gelten Gefässerkrankungen oder eine Vergrösserung der Prostata. Auch ein ungesunder Lebensstil oder psychologische Gründe wie Stress können die Potenz beeinträchtigen.

Eine ärztliche Abklärung schafft Klarheit über die geeigneten Behandlungsmethoden. Klar ist: Viagra ist in vielen Fällen nicht die beste Lösung und kann aufgrund der vielen Nebenwirkungen manchmal mehr schaden als nützen. Erektionsprobleme bedeuten zudem nicht das Ende der Sexualität; Schiftan gibt Entwarnung: «Es ist durchaus möglich, mit einem weicheren Penis einzudringen.» In der Therapie lernt man, wie man seine Sensibilität ausweiten oder in neuen Stellungen Sex haben kann. 

Sexualität bei Pflegebedürftigen im Alter

Neben den zahlreichen Beeinträchtigungen der Sexualität im Alter ist auch die Sexualität von Pflegebedürftigen ein komplexes Thema. Nur wenige Alterseinrichtungen haben einen Umgang damit in ihrem Leitbild verankert – obschon Sexualität genauso zu den Grundbedürfnissen gehört und gerade im Alter so hilfreich wäre: «Jegliche Form von Sex, die auf eine gute, nährende Art gelebt wird, ist förderlich für die Gesundheit», erklärt Dania Schiftan. Denn die Hormonausschüttung beim Sex gleicht Körper und Stimmung aus; Küssen aktiviert und stärkt durch den Bakteriaustausch das Immunsystem.

Auch bei Paarbeziehungen kann Sexualität im Alter eine wichtige Funktion erfüllen: «Eine gelebte Intimität schafft Bindung und hält ein Paar zusammen.» Und nicht zuletzt sei Sexualität für Menschen im Ruhestand auch einfach das: ein wunderschöner Zeitvertreib. 

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