Dossier: Sexualität

Sex nach der Geburt: die Frage des richtigen Zeitpunkts

Nach der Geburt eines Kindes ist nichts mehr so, wie es einmal war. Auch im Bett nicht. Ab wann gehört Sex wieder dazu? Und wie kriege ich wieder Lust?

Autorin: Anna Miller; Foto: iStock

Die Geburt eines Lebewesens stellt alles auf den Kopf. So auch die Sexualität in der Partnerschaft. Manche Frauen haben nach der Geburt erst mal ein paar Wochen oder Monate keine grosse Lust auf Sex, andere wollen sofort wieder loslegen, fragen sich aber: Kann ich das? Und was ist mit der Verhütung? Während die physischen Veränderungen nach einer Geburt offensichtlich sind, gilt es beim Thema Sex auch die genauso wichtigen psychologischen und emotionalen Aspekte zu berücksichtigen, damit sich Lust, Vertrauen und Selbstliebe wieder neu entfalten können.

«Eine Frau spürt in der Regel intuitiv sehr gut, wann ihr Körper wieder für Sex bereit ist»
Yvette Plambeck, Frauenärztin am Zentrum für Interdisziplinäre Sexologie und Medizin ZiSMed

Wie lange sollte man nach der Geburt mit dem Sex warten?

Die Frage, wie lange man nach der Geburt mit dem Sex warten sollte, ist sowohl in Bezug auf den Körper als auch die Emotionen komplex. Die allgemeine Empfehlung von Gynäkologinnen beläuft sich auf sechs Wochen – nach dieser Zeit ist das Risiko eines Infekts minim, der Körper hat sich im Normalfall gut von der Geburt erholt. «Eine Frau spürt in der Regel intuitiv sehr gut, wann ihr Körper wieder für Sex bereit ist», sagt Yvette Plambeck, Frauenärztin am Zentrum für Interdisziplinäre Sexologie und Medizin ZiSMed. Nicht selten aber dauert es auch länger, bis der Körper sich erholt hat – das hängt auch mit der Belastbarkeit des Gewebes zusammen, ob es einen Dammschnitt brauchte und so weiter. «Das braucht alles seine Zeit», sagt Plambeck, auch sei normal, dass der Genitalbereich der Frau nach der Geburt hormonbedingt trockener sei. Gleitmittel ist in dieser Situation eine gute Lösung und vor allem: auf den eigenen Körper zu hören.

Die sechs Wochen sind also ein gynäkologisch-medizinisches Zeitfenster – das emotionale und psychische präsentiert sich anders. «Es gibt Frauen, die sofort wieder Lust haben, bei anderen stellt sich die Lust auf Sex über Wochen und Monate nicht wieder ein», sagt die bekannte Sexualtherapeutin und Buchautorin Dania Schiftan. Das Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele ist gemäss Schiftan komplex – und nach einer Geburt gerät das ganze System durcheinander. Es gibt in ihrer Praxis kein «normal» und auch keine zeitlichen Richtwerte. Das würde Frauen und Männer bloss unter Druck setzen. Viel wichtiger scheint ihr, die individuellen Lebensrealitäten anzuschauen. «Eine entscheidende Frage ist: Wie ist die ganze Schwangerschaft verlaufen? Die Geburt kann für die Frau eine heftige Erfahrung sein, auf die sie nicht genügend vorbereitet wird», sagt Schiftan. Die Beziehung zum eigenen Genital kann deshalb leiden und zu Verunsicherung führen.

Hormone, Fruchtbarkeit und Verhütung nach der Geburt

«Man sagt, bis sich der Körper nach einer Geburt komplett erholt habe, dauere es ein bis eineinhalb Jahre», sagt Frauenärztin Plambeck. Der Mensch braucht Zeit, sowohl psychisch als auch körperlich. Und gerade deshalb auch Zeit vor dem nächsten Kind, der nächsten Schwangerschaft. «Entsprechend ist Verhütung nach der Geburt ein absolutes Muss.»

Wann die Regelblutung wieder einsetzt, ist von Frau zu Frau unterschiedlich. «Die einen bekommen nach einem Monat ihre Periode, andere nach einem halben Jahr», meint Plambeck. Auf die Blutung alleine könne man sich aber nicht verlassen. «Die Fruchtbarkeit ist nach einer Geburt eingeschränkt, aber die erste Blutung käme ja sowieso erst zwei Wochen nach dem ersten Eisprung, eine Garantie haben Sie also nie.»

Verhütungsoptionen sind das Kondom oder die Minipille, wobei Pillenhormone in die Muttermilch gelangen können, warnt Plambeck. Und was ist mit der Aussage, dass man nicht schwanger werden kann, solange man stillt? «Je länger und intensiver gestillt wird, desto eher bleibt auch die Menstruation aus», sagt Plambeck. «Es besteht aber keinerlei Garantie. Das Stillen allein ist keine Verhütungsmethode.»

Sexuelle Unlust nach der Geburt

Es sind auch hormonelle Veränderungen, die sich auf die Lust auf Sex auswirken können. Manche Frauen kämpfen mit körperlichen Beschwerden wie Trockenheit oder Schmerzen, während andere mit emotionalen Herausforderungen ringen. «Viele empfinden schlicht eine Überladung an Gefühlen, Berührungen, fühlen sich körperlich komisch und fremd. Die Brustwarzen sind überempfindlich, der Körper ist voluminöser als sonst – da kommt so einiges zusammen», sagt Sexualtherapeutin Dania Schiftan.

Die psychologischen Anforderungen an die neue Rolle sind immens. «Dass Sex da eine Zeit lang keine Priorität hat, ist okay und nachvollziehbar», meint die Expertin. Jedoch sei der springende Punkt, ob die Sexlosigkeit mit der Zeit einem Bedürfnis oder einem Ausweichen entspreche. «Solange in einer Partnerschaft beide Partner keinen Leidensdruck verspüren und die Situation okay ist, gibt es auch keinen Handlungsbedarf», sagt Schiftan. «Wenn aber jemand von beiden unglücklich ist, macht es Sinn, das Thema anzusprechen.»

Dabei liegt die Betonung auf «beiden»: Es geht sowohl um das eigene als auch um das Paarwohlbefinden. «Paarkonflikte sollte man anschauen und sich Hilfe holen. Das Bedürfnis nach Sex ist auf gleicher Ebene wie das Bedürfnis danach, keinen Sex zu haben», sagt die Expertin. Auch viele Männer würden nach der Geburt darunter leiden, dass sich die Beziehung zur Partnerin und die Sexualität veränderten.

«Wie kann ich meinen neuen Körper sexy und schön finden? So, wie er jetzt ist?»
Dania Schiftan, Psychotherapeutin, Autorin und klinische Sexologin

Der Körper verändert sich nach der Schwangerschaft

Auch weil die Mutter vor allem in der ersten Zeit eine intensive körperliche Beziehung mit dem Baby aufbaut und so ein grosser Teil des Bedürfnisses nach Nähe der Frau durch das Baby gestillt wird. «Die Frau ist dann gesättigt, wenn nicht schon übersättigt», sagt Schiftan. Zudem kommen einige Komponenten zusammen, die Sex nach der Geburt nicht begünstigen: körperliche und seelische Verletzungen, die emotionale Befriedigung durch die Nähe des Kindes und eine Entfremdung vom eigenen Genital.

Denn: Der Körper einer Frau erfährt während der Schwangerschaft und nach der Geburt erhebliche Veränderungen. «Gewisse Dinge kommen nie wieder zurück, Bauch und Brüste verändern sich bei vielen für immer», erklärt Dania Schiftan, «das ist eine grosse Kränkung des Körpers.» Die Frage sei deshalb: «Wie kann ich meinen neuen Körper sexy und schön finden? So, wie er jetzt ist?»

Dabei kann gerade die Sexualität eine Ressource sein, gibt Schiftan zu bedenken. «Aber eben erst dann, wenn ich eine positive Beziehung zu meinem Genital habe und Sex für mich nicht nur emotionale Nähe herstellt, sondern auch andere Bedürfnisse befriedigt – beispielsweise das Bedürfnis nach körperlicher Bewegung, einem Orgasmus, der mir guttut, und so weiter.» Manchen Frauen fehle auch heute noch diese sexuelle Lerngeschichte. Viele Frauen stellen Nähe und emotionale Bindung über Sexualität her. Was gut ist. Aber nach der Geburt eines Kindes fehlen dann die entsprechenden anderen Gründe für die Lust an der Lust.

«Die Erfahrung zeigt: Es fällt einer Frau leichter, nach der Geburt wieder Freude an der Sexualität zu empfinden, wenn sie bereits vor der Geburt nicht nur einen emotionalen Bezug hatte, sondern auch einen direkt körperlichen – beispielsweise weil sie Berührung als erregend empfindet oder selbst weiss, wie sie zum Orgasmus kommt», sagt Schiftan. Wer Sex vor allem dann hatte, wenn alle Umstände stimmten, sagt die Expertin, habe nun umso mehr Mühe, wieder in Kontakt mit einer erfüllenden Sexualität zu kommen. Dieser Kontakt aber lässt sich wieder herstellen – und es ist möglich, Sexualität auch als Eltern befriedigend zu erleben. «Die Lerngeschichte ist dabei entscheidend», sagt sie. Und diese lässt sich, das die gute Nachricht, umschreiben. Diese liebevolle Beziehung zu sich selbst aufzubauen ist der erste Schritt. Das eigene Genital wieder vermehrt wahrnehmen, akzeptieren, was passiert ist, wertschätzen, wie viel möglich war und ist – und damit wieder geniessen können. Selbstbestimmt.

Über die Expertinnen

Yvette Plambeck ist Frauenärztin am Zentrum für Interdisziplinäre Sexologie und Medizin ZiSMed Zürich.

Dania Schiftan ist Psychotherapeutin, Autorin und klinische Sexologin mit Praxis in Zürich.

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