Dossier: Sexualität

Endometriose: jeden Monat Schmerzen

Von Unterleibsschmerzen bis zur Kinderlosigkeit: Die Endometriose geht weit über die «normalen» Menstruationsbeschwerden hinaus. Betroffene Frauen leiden physisch und psychisch unter der Erkrankung. Welches sind aber die Ursachen der Endometriose? Und wie behandelt man sie sinnvoll?

Text: Julie Freudiger; Foto: iStock

Jeden Monat wird Fabienne ausser Gefecht gesetzt. Sobald ihre Menstruation einsetzt, hat sie so starke Rücken- und Bauchschmerzen, dass selbst die stärksten Schmerzmittel kaum mehr wirken. Andrea geht es ähnlich, nur dass bei ihr noch Schmerzen beim Stuhlgang dazukommen. Regelmässig wird ihr schwarz vor Augen.

Die Beschwerden setzen beiden auch psychisch zu. «Hab dich nicht so!», haben sie oft zu hören bekommen – und dies auch zu sich selbst gesagt. «Schmerzen während der Menstruation sind doch normal.» Doch das stimmt bei Weitem nicht. Erst recht nicht für Endometriose-Betroffene. Ihr Leidensdruck ist oft immens und kann Jahre andauern. Schätzungsweise 280 000 Frauen in der Schweiz leiden an der chronischen Krankheit.

Was ist Endometriose?

Als Endometriose werden krankhafte Wucherungen der Gebärmutterschleimhaut ausserhalb der Gebärmutterhöhle bezeichnet. Dabei siedeln sich Zellen der Gebärmutterschleimhaut an der Gebärmutterwand, den Eierstöcken, im Darm, in der Blase oder im Bauchraum an – anstatt wie vorgesehen nur in der Gebärmutterhöhle. In seltenen Fällen wachsen sie sogar in der Lunge oder anderen Organen. Treten die Zellen in der Gebärmutterwand auf, spricht man von einer Adenomyose, wachsen sie ausserhalb, von einer Endometriose. 

Im normalen weiblichen Zyklus baut sich die Schleimhaut in der Gebärmutter auf, um das befruchtete Ei aufzunehmen. Findet keine Befruchtung statt, stösst der Körper die Schleimhaut ab, was wir als Regelblutung wahrnehmen. Da es sich bei der Endometriose um die gleichen Zellen handelt wie bei der Gebärmutterschleimhaut, wachsen und bluten diese ebenso zyklisch, getrieben durch die Geschlechtshormone. Dabei rufen sie lokale Entzündungsreaktionen hervor, was für die Betroffenen hauptsächlich während der Menstruation sehr schmerzhaft sein kann.

«Frauen mit Unterbauchbeschwerden sollten in jedem Fall zuerst zum Gynäkologen oder zur Gynäkologin gehen.»
Dimitri Sarlos, Chefarzt Gynäkologie & Gynäkologische Onkologie am Kantonsspital Aarau

Leidvolle Jahre bis zur Diagnose

Dimitri Sarlos, Chefarzt Gynäkologie & Gynäkologische Onkologie sowie Leiter des Endometriose-Zentrums am Kantonsspital Aarau, kennt die physischen Beschwerden und psychischen Belastungen seiner Patientinnen nur zu gut. Es passiert leider nicht selten, dass Frauen mit Verdacht auf Endometriose sehr spät zu ihm kommen.

Tatsächlich dauert es im Schnitt fünf bis sechs Jahre, bis die betroffenen Frauen die richtige Diagnose erhalten – und damit auch die passende Therapie. «Häufig sind der Hausarzt, die Darmspezialistin oder der Urologe die erste Anlaufstelle, wenn jemand Blasen- oder Unterbauchschmerzen hat. Doch das Krankheitsbild der Endometriose liegt nicht in deren Spezialgebiet, weshalb diese Diagnose nicht im Fokus liegt.

Frauen mit Unterbauchbeschwerden sollten in jedem Fall zuerst zum Gynäkologen oder zur Gynäkologin gehen.» Vor allem sollen sie ihre Beschwerden ernst nehmen und nicht zu lange auf die Zähne beissen. 

Unbekannte Ursache 

Warum Endometriose entsteht, ist bis heute nicht restlos geklärt. Vermutlich spielen verschiedene Faktoren zusammen, erklärt Dimitri Sarlos. Eine weitverbreitete und anerkannte Theorie ist diejenige der retrograden Menstruation. Gemäss dieser fliesst das Menstruationsblut nicht nur nach aussen, sondern über die Eileiter auch nach innen in die Bauchhöhle. Dies ist an sich nichts Ungewöhnliches und kommt bei fast allen Frauen vor.

Bei Endometriose-Betroffenen wird aber das Blut in der Bauchhöhle nicht abgebaut, sondern die Gebärmutterschleimhautzellen verbreiten sich und beginnen zu wachsen. «Diskutiert wird zudem, ob auch die spontane Umwandlung von Zellgewebe eine Rolle spielen könnte, die sogenannte Metaplasie-Theorie», so der Chefarzt. Warum sich Gewebe durch falsche Programmierungen plötzlich zu Endometriose entwickelt, kann die Wissenschaft aktuell aber noch nicht beantworten.

In anderen Worten: Es ist kompliziert. Gesichert ist hingegen, dass ein familiäres Risiko besteht. Die Veranlagung für Endometriose kann also vererbt werden – muss aber nicht. 

Vielfältige Symptome, erschwerte Diagnose

Die Zellen lösen meist dort Beschwerden aus, wo sie sich – fälschlicherweise – angesiedelt haben. Symptome einer Endometriose sind starke Regelschmerzen, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr sowie beim Stuhlgang oder Wasserlösen während der Menstruation. Einige Patientinnen leiden zudem an sehr starken oder unregelmässigen Regelblutungen.

Bleibt die Krankheit unbehandelt, können sich die zyklischen Schmerzen sogar zum chronischen Dauerschmerz entwickeln. Dimitri Sarlos: «Schmerz brennt sich ins Gehirn ein. Die Endometriose-Behandlung wird dadurch viel komplexer, und oft müssen Schmerztherapeuten hinzugezogen werden, um den Teufelskreis zu durchbrechen. Deshalb ist es so wichtig, die Endometriose frühzeitig zu behandeln.»

Die Diagnose ist aber nicht immer einfach: Endometriose-Herde lassen sich weder mit einem MRI noch mit Ultraschall nachweisen. Endgültig diagnostizieren lässt sich die Endometriose erst mittels einer Bauchspiegelung, also eines operativen Eingriffs. Heutzutage kann die Krankheit glücklicherweise auch anhand der Symptome und der Krankengeschichte der Patientinnen diagnostiziert werden. 

Endometriose und Kinderlosigkeit

Ein weiteres Symptom kann eine ungewollte Kinderlosigkeit sein, denn Fruchtbarkeitsstörungen sind bei Endometriose-Patientinnen sehr häufig. Ein belastendes Thema für die Betroffenen. Für die Infertilität gibt es mehrere Gründe: Einerseits können die Wucherungen der Endometriose die Eileiter verstopfen, entzünden oder abknicken. Das Ei gelangt so gar nicht erst zu den Spermien. Andererseits ist die Einnistung des Eis in die Gebärmutter durch die Endometriose-Entzündungen gestört. Und nicht zuletzt haben viele Betroffene gar keinen richtigen Eisprung.

Es kommt immer wieder vor, dass Frauen erst in fortgeschrittenem Alter die Diagnose Endometriose erhalten, der Grund für ihre Kinderlosigkeit also zu lange im Verborgenen bleibt. Das muss nicht sein. Denn mit einem operativen Eingriff, bei dem die Endometriose-Herde entfernt werden, steigen die Chancen auf eine Schwangerschaft um ein Vielfaches. 

Endometriose-Behandlungen: keine Standardtherapien

Nicht immer muss es aber gleich eine Operation sein: Die Behandlung von Endometriose hängt davon ab, wie ausgeprägt die Wucherungen sind, welche Beschwerden die Patientin hat und wie ihre Lebenssituation aussieht. Gemäss Dimitri Sarlos reichen bei einer sehr leichten Form mit wenig oder mittleren Schmerzen entzündungshemmende Schmerzmedikamente aus. Ist die Endometriose hingegen ausgeprägter, sei eine Hormontherapie oder ein chirurgischer Eingriff angemessen.

Eine mögliche Hormontherapie ist die Antibabypille. Denn diese kann den Zyklus stabilisieren und bei Dauereinnahme die Monatsblutung unterbinden. Spezifisch gegen Endometriose gibt es derzeit nur ein Medikament: ein Hormonpräparat, das mittels Gelbkörperhormonen die Endometriose-Herde austrocknet. Sarlos hat damit gute Erfahrungen gemacht. Dennoch: «Jedes Hormon hat Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Übelkeit und Gewichtszunahme durch Flüssigkeitseinlagerungen. Die Nebenwirkungen sind aber minim und treten meist nur im ersten Monat der Hormoneinnahme auf – man muss kurz durchhalten, danach wird es in der Regel besser.»

Je nach Schweregrad der Endometriose und bei einem unerfüllten Kinderwunsch werden die Endometriose-Herde laparoskopisch, also über eine Bauchspiegelung, entfernt. Für Frauen, die keinen Kinderwunsch haben oder bei denen die Familienplanung abgeschlossen ist, ist die Entfernung der Gebärmutter eine Option.

«Die chirurgische Therapie einer Endometriose gehört in die Hände von Spezialisten.»
Dimitri Sarlos, Chefarzt Gynäkologie & Gynäkologische Onkologie am Kantonsspital Aarau

Hohes Rückfallrisiko

Eine Garantie, dass die Endometriose trotz richtiger Behandlung nicht wieder aufflammt, gibt es allerdings nicht. Doch das müsse nicht zwingend sein, betont Dimitri Sarlos. Es gebe durchaus Patientinnen, die beschwerdefrei oder zumindest beschwerdearm blieben. Häufig sei das Leiden der Betroffenen sowieso so stark, dass man gar keine andere Wahl habe, als etwas zu unternehmen.

Ein Punkt liegt dem Gynäkologen am Herzen: «Wenn Sie operieren, sollten Sie unbedingt einen Endometriose-Spezialisten oder eine -Spezialistin konsultieren.» Es gebe mehrere zertifizierte Endometriose-Zentren in der Schweiz, die allesamt fähige Fachleute hätten. «Bei Operationen kann vieles schiefgehen, wenn man nicht die nötige Erfahrung hat. Die chirurgische Therapie einer Endometriose gehört daher in die Hände von Spezialisten.»

Über den Experten

PD Dr. med. Dimitri Sarlos ist Chefarzt Gynäkologie & Gynäkologische Onkologie, Leiter Endometriose-Zentrum, Leiter Brustkrebszentrum und Gynäkologisches Krebszentrum, Bereichsleiter Frauen und Kinder sowie Mitglied der Geschäftsleitung am Kantonsspital Aarau.

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