Im Pflegeheim: Gut aufgehoben statt abgeschoben
Der Umzug ins Pflegeheim ist für die Betroffenen und ihre Angehörigen oft ein schwieriges Thema. Dieser Schritt kann aber durchaus auch eine positive und bereichernde Erfahrung sein – für alle Beteiligten.
Am Jasstisch von Margrit Kost und ihren Kolleginnen Veronika und Anna geht es heiss zu und her. Die drei Damen sind im lichtdurchfluteten Restaurant des Pflegezentrums Riedbach hart am Sticheln. Wortwörtlich. Mit viel Gelächter, aber auch viel Konzentration will jede das Jassmatch für sich entscheiden. Dass dieses ausgelassene Zusammensein heute überhaupt möglich ist, ist Margrit Kost zu verdanken. Denn ursprünglich hatte die heute 82-jährige Adligenswilerin nicht vor, je in ein Pflegezentrum zu ziehen.
Wenn es zu Hause nicht mehr geht
Die Geschichte dazu geht so: Bis Herbst 2022 lebte Margrit Kost allein in einer kleinen Wohnung inmitten des Zentrums der Luzerner Gemeinde Adligenswil und war ein fester Teil des Dorflebens. Ob als Gast in einem der Cafés oder beim Jassen mit Bekannten: Margrit Kost und ihr Rollator waren fast überall mit von der Partie. «Wir haben die Selbstständigkeit unserer Mutter so lange wie möglich zu wahren versucht», erinnert sich ihr Sohn Andreas Kost. «Wegen ihrer langjährigen Erkrankung an Multipler Sklerose machten sich aber aufs Alter hin immer mehr Bewegungs- und Koordinationsschwierigkeiten bemerkbar.» Ein Drahtseilakt sowohl für Andreas Kost als auch seine Schwester Regula Savelkoul. Insbesondere nach dem Tod des Vaters seien die MS-Schübe bei der Mutter häufiger und stärker geworden, Stürze nahmen zu. «Wir wussten oft nicht, was uns nach einem Sturz erwartete», erinnert sich Andreas Kost. Eine extreme Belastung, nicht nur für die Kinder. «Ich jammere nie», sagt Margrit Kost dazu, «habe aber auch einen sturen Kopf.» Purer Egoismus? Jein, meinen die Geschwister. Vielmehr gehen sie davon aus, dass die Mutter eher Schwierigkeiten damit hatte, sich mit der eigenen Vergänglichkeit auseinanderzusetzen.
Eltern und Kind: Plötzlich sind die Rollen vertauscht
Als Probleme und Unfälle im Wohnalltag von Margrit Kost im letzten Jahr fast an der Tagesordnung waren, liess sich das Gespräch über einen möglichen Umzug in ein Pflegeheim nicht mehr aufschieben. «Diese Diskussionen waren alles andere als offen und neutral», erinnert sich Andreas Kost. «Für mich waren die Gespräche und die damit verbundenen hitzigen Auseinandersetzungen sehr emotional.» Auch für Kinder ist es hart, mit der Gebrechlichkeit der eigenen Eltern konfrontiert zu werden. «Man kann sich noch so gut darauf vorbereiten, es tut weh, wenn die Rollen plötzlich vertauscht sind», sagt Regula Savelkoul. «Da weder Andreas noch ich die Kapazitäten hatten, uns im Notfall um unsere Mutter zu kümmern, haben wir nach einer Zwischenlösung gesucht und zusammen den Kurzaufenthalt im Pflegezentrum Riedbach gefunden.»
Im Pflegezentrum wohnen auf Probe
«Es ist nicht einfach, sich einzugestehen, dass man Unterstützung braucht. Noch schwieriger ist es, Hilfe auch anzunehmen. Viele ältere Menschen akzeptieren sie erst, wenn es wirklich nicht mehr anders geht», weiss Nicole Winkler, Geschäftsführerin des Pflegezentrums Riedbach. «Wir bieten darum zur vorübergehenden Entlastung und Erholung – etwa nach einem Spitalaufenthalt –, aber auch für ein Probewohnen Kurzaufenthalte von bis zu zwei Monaten an.» Im Fall von Margrit Kost waren hierfür zuerst drei Wochen angedacht.
Aufatmen – trotz Gewissensbissen
Drei Wochen, die sowohl bei Andreas Kost als auch Regula Savelkoul die Welt verändert haben. «Plötzlich waren die ständige Ungewissheit und die damit verbundene Angst weg und wir haben uns endlich mal wieder so richtig erholen können», erinnert sich der Sohn, der deswegen aber noch immer mit einem schlechten Gewissen ringt – genau wie die Tochter. «Das Wort Abschieben ist schon das eine oder andere Mal gefallen», berichtet Andreas Kost, sichtlich emotional berührt. «Es war für uns ebenfalls eine Umstellung, unsere Mutter nicht mehr in ihrer gewohnten Umgebung zu sehen.» Trotzdem bereuen die Geschwister den Schritt nicht. Sie wissen ihre Mutter nun rund um die Uhr versorgt und können sie jederzeit ganz unbeschwert zum Mittagessen oder zu Kaffee und Kuchen besuchen. Zudem konnte Margrit Kost ihren Wohnbereich mit ihren eigenen Möbeln ergänzen, während Tochter Regula die Räumlichkeiten saisonal dekoriert. Sehr zur Freude der Angestellten des Pflegezentrums, die selbst grossen Wert auf ein schönes Interior legen.
Ein neuer Lebensabschnitt
Margrit Kost scheint mittlerweile so richtig angekommen zu sein. Immer wieder blitzt der Schalk aus ihren Augen, besonders, wenn sie wiederholt, dass sie eigentlich nie hierher habe ziehen wollen. «Es läuft hier immer etwas», erzählt sie und berichtet begeistert von Tanz- und Singveranstaltungen. Oder vom gemeinsamen Turnen, Bewegen im Stuhl genannt. Und von ihren wöchentlichen Besuchen beim Coiffeursalon vor Ort sowie bei der Kosmetikerin, die ihr regelmässig die Wimpern färbt. Einzig mit der frühen Nachtruhe hat Margrit Kost Mühe, weshalb sie ziemlich schnell nach ihrem fixen Einzug mithilfe der Pflegeleitung eine Jassgruppe gegründet hat. Und die sorgt für Action im Riedbach.
Expertinnentipp
Nicole Winkler, Geschäftsführerin Pflegezentrum Riedbach: «Die Planung des letzten Lebensabschnitts ist in vielen Familien ein Tabu und mit Emotionen verbunden. Deshalb ist es wichtig, dass Sie mit Ihren Eltern möglichst früh über das Leben im Alter sprechen. Welches sind ihre Wünsche, welche Hilfsangebote, gibt es und welche Wohnformen oder Institutionen sind mögliche Optionen? Auch sie hoffen, möglichst lange selbstständig zu bleiben, doch kann sich aufgrund einer Krankheit oder eines Sturzes die Lebenssituation rasch verändern. In solchen Fällen besteht die Gefahr, dass Angehörige und Betroffene plötzlich fremd- statt selbstbestimmt handeln müssen. So oder so gilt: Das richtige Heim auszuwählen benötigt Zeit. Diesen Schritt muss man gut durchdenken. Zudem haben viele Pflegeheime langen Wartefristen.»