Ältere Frau sitzt mit Ihrem schwarzen Hund auf einer Bank und geniesst die herbstlichen Sonnenstrahlen.
Dossier: Familie

Einsamkeit im Alter: Ursachen, Folgen und hilfreiche Tipps

Jede dritte Person über 65 fühlt sich einsam. Mit steigendem Alter nimmt dieses Gefühl oft zu. Übergänge wie Pensionierung oder der Verlust nahestehender Menschen verstärken die Isolation. Welche Folgen hat Einsamkeit, und wie können Betroffene und Angehörige aktiv gegensteuern?

Text: Nicole Krättli; Foto: Sebastian Doerk

Plötzlich ist es still. Eben noch war man beschäftigt – Lebensmittel einkaufen, Wäsche falten, den Boden putzen – und dann, aus dem Nichts, kommt da diese Leere. Niemand ruft an, niemand schreibt, niemand schaut vorbei. Man blickt hinaus auf eine hektische Welt, in der alle unterwegs sind, Pläne machen, Freunde treffen.

Der Körper wird schwer, die Gedanken beginnen zu kreisen. Einsamkeit – ein Gefühl, das viele von uns kennen. Mal dauert es nur Stunden, mal Wochen oder Monate. In der Schweiz fühlt sich jede dritte Person einsam, und im hohen Alter nimmt diese Zahl noch deutlich zu.

Risikofaktoren: Wie entsteht Einsamkeit im Alter?

Corinne Hafner Wilson, Fachverantwortliche für Hilfen zu Hause bei Pro Senectute Schweiz, erklärt: «Das Gefühl von Einsamkeit entsteht, wenn die Art und Qualität der Beziehungen nicht mit den eigenen Bedürfnissen übereinstimmt.»

Folglich können sich auch Menschen mit einem aktiven sozialen Umfeld einsam fühlen, wenn diese Beziehungen nicht erfüllend sind. Dennoch erhöht soziale Isolation das Risiko, Einsamkeit zu empfinden, massiv.

«Der Eintritt in die Pension löst bei vielen Menschen eine Leere aus.»
Corinne Hafner Wilson, Pro Senectute Schweiz

In der Schweiz leben rund 1,4 Millionen Menschen in Einpersonenhaushalten; bis 2050 soll diese Zahl auf 1,8 Millionen steigen. Zudem werden zwei von fünf Ehen geschieden, und die Geburtenrate sinkt. Solche demografischen Entwicklungen erhöhen das Risiko der sozialen Isolation. Ereignisse wie der Übergang in den Ruhestand können ebenfalls zu Einsamkeit führen. Hafner Wilson weiss: «Der Eintritt in die Pension löst bei vielen Menschen eine Leere aus.»

Noch belastender ist der Verlust des Partners oder enger Freund:innen. «Auch gesundheitliche Probleme, die zum Rückzug aus dem Sozialleben führen, können Einsamkeit im Alter begünstigen», ergänzt die Expertin.

Folgen: Einsamkeit kann körperliche Beschwerden auslösen

Einsamkeit hat weitreichende Folgen für die körperliche Gesundheit. Eine umfassende Auswertung von 150 Studien durch Wissenschaftler:innen der US-amerikanischen Universitäten Brigham Young und North Carolina hat gezeigt, dass chronische Isolation das Sterblichkeitsrisiko ebenso erhöht wie Rauchen oder starkes Übergewicht.

Einsamkeit fördert die Produktion von Cortisol

Ein zentraler Mechanismus dabei ist die Aktivierung des biologischen Warnsystems des Körpers. Forschende des schwedischen Karolinska-Instituts haben herausgefunden, dass Einsamkeit die Produktion des Stresshormons Cortisol erhöht. Ein dauerhaft erhöhter Cortisolspiegel kann zu Bluthochdruck, Herzinfarkten, Schlaganfällen und einem erhöhten Risiko für Demenz führen. Zudem schwächt er die Fähigkeit des Körpers, Entzündungen zu bekämpfen, was die Immunabwehr beeinträchtigt und die Anfälligkeit für Infektionen steigert.

Einsame Menschen schlafen schlechter

Ein weiteres Problem ist die negative Auswirkung von Einsamkeit auf den Schlaf. Forschende der US-amerikanischen Universität Chicago haben festgestellt, dass isolierte Menschen signifikant schlechter schlafen. Sie regenerieren weniger, was nicht nur zu schnellerem Altern führt, sondern auch die körperliche Belastbarkeit verringert. Schlafmangel wiederum verstärkt das Gefühl der Hilflosigkeit und erschwert es, neue soziale Kontakte aufzubauen oder Aktivitäten zu beginnen, die Einsamkeit entgegenwirken könnten.

Eigene Gesundheit rückt in den Hintergrund

Gleichzeitig wirkt sich das Fehlen sozialer Bindungen negativ auf die Motivation aus, sich um die eigene Gesundheit zu kümmern. Isolierte Menschen bewegen sich weniger, ernähren sich ungesünder und neigen häufiger zu riskanten Verhaltensweisen, die weitere gesundheitliche Probleme nach sich ziehen können.

Auswirkungen von Einsamkeit auf die Psyche

Die psychischen Auswirkungen von Einsamkeit sind ebenso gravierend wie die körperlichen. Zahlreiche Studien haben den Zusammenhang zwischen Einsamkeit und Depressionen nachgewiesen. Betroffene geraten oft in einen Teufelskreis: Sie schämen sich für ihre fehlenden sozialen Kontakte und ziehen sich noch weiter zurück. Dieser Rückzug führt zu einem erhöhten Leidensdruck und verstärkt das Gefühl der Isolation.

Einsamkeit schwächt auch die Resilienz – also die Fähigkeit, mit Krisen oder Stresssituationen umzugehen. Untersuchungen zeigen, dass Menschen mit wenig sozialen Kontakten Stresssituationen als bedrohlicher empfinden. Ihnen fehlen positive Erlebnisse, die sie entlasten könnten. Stattdessen entwickeln sie Vermeidungsstrategien und pessimistische Grundhaltungen, die das Wohlbefinden weiter beeinträchtigen.

Was kann man gegen Einsamkeit im Alter tun?

Doch Einsamkeit muss man nicht einfach so hinnehmen – es gibt zahlreiche Wege, um aktiv gegenzusteuern. Oft hilft es, sich bewusst an Aktivitäten oder Hobbys zu erinnern, die früher Freude bereitet haben, und diese wieder aufzugreifen. Auch der Kontakt zu anderen, sei es durch Nachbarn, Familie oder Gruppenaktivitäten, kann den Alltag bereichern.

Wenn der erste Schritt schwerfällt, können professionelle Beratungsstellen eine wertvolle Stütze sein. Sie bieten Unterstützung, konkrete Vorschläge und Möglichkeiten, neue Kontakte zu knüpfen. Auch digitale Wege, wie Videoanrufe oder Online-Treffen, bieten Chancen, mit anderen in Verbindung zu bleiben und neue Kontakte zu knüpfen.

Tipps für Betroffene

  • Tagesstruktur schaffen: Ein geregelter Tagesablauf mit festen Zeiten für Mahlzeiten, Aktivitäten und Ruhephasen kann helfen, dem Tag Sinn und Struktur zu geben.
  • Technologie nutzen: Moderne Kommunikationsmittel wie Videoanrufe oder soziale Medien ermöglichen den Kontakt zu Familie und Freunden, auch über grosse Entfernungen hinweg.
  • Nachbarschaftsnetzwerke aufbauen: Der Austausch mit Nachbarn kann neue soziale Kontakte schaffen und das Gemeinschaftsgefühl stärken.
  • Ehrenamtliches Engagement: Sich freiwillig zu engagieren bietet die Möglichkeit, neue Menschen kennenzulernen und einen sinnvollen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten.
  • Haustiere als Begleiter: Ein Haustier kann Gesellschaft leisten und Verantwortung sowie Freude in den Alltag bringen.

Tipps für Angehörige

  • Aufmerksam zuhören: Zeigen Sie Verständnis, wenn sich jemand in Ihrem Umfeld zurückzieht oder über Einsamkeit spricht. Oft ist das aufmerksame Zuhören schon eine grosse Hilfe.
  • Nach Interessen erkunden: Erkundigen Sie sich nach Interessen oder früheren Hobbys der betroffenen Person. Ermutigen Sie sie, diese wieder aufzunehmen, da dies helfen kann, neue Kontakte zu knüpfen und die Lebensfreude zu steigern.
  • Auf professionelle Hilfe hinweisen: Ermutigen Sie die betroffene Person dazu, sich professionelle Hilfe zu suchen, wenn Ihnen dies angemessen erscheint. Manchmal kann eine aussenstehende Fachperson besser helfen als die nächsten Angehörigen.

Angebote und Anlaufstellen gegen Einsamkeit im Alter

In der Schweiz gibt es zahlreiche Organisationen, die älteren Menschen Unterstützung bieten. Pro Senectute, die grösste Fach- und Dienstleistungsorganisation für Senior:innen, bietet neben Beratungen vielfältige Veranstaltungen, Aktivitäten sowie Kurse an, die gezielt ältere Menschen zusammenbringen. Diese reichen von Tanz- und Sprachkursen bis hin zu Wandergruppen und digitalen Treffpunkten. Ziel ist es, die Selbstständigkeit zu erhalten und gleichzeitig Einsamkeit vorzubeugen.

Die Website einsamkeit-im-alter.ch bietet viele Informationen und praktische Tipps, um der Einsamkeit entgegenzuwirken. Sie stellt Kontakt zu Freiwilligenprojekten wie Besuchs- und Telefonpartnerschaften her und unterstützt bei der Vermittlung digitaler Kompetenzen, um den Zugang zu Online-Angeboten zu erleichtern.

Wer sich engagieren möchte, findet bei Projekten wie «Schenkzeit» der Stiftung gemeinsam im Alter Möglichkeiten, aktiv Zeit mit Senior:innen zu verbringen und so neue Verbindungen zu schaffen. Für detaillierte Informationen können Betroffene und Angehörige die jeweiligen Beratungsstellen vor Ort kontaktieren oder sich online informieren.

Corinne Hafner Wilson ist Fachverantwortliche für «Hilfen zu Hause» bei Pro Senectute. Die Psychologin ist spezialisiert auf die Beratung und Begleitung im Alter.

Über die Expertin

Corinne Hafner Wilson ist Fachverantwortliche für «Hilfen zu Hause» bei Pro Senectute. Die Psychologin ist spezialisiert auf die Beratung und Begleitung im Alter. 

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