Dossier: Trendsport

Mit Pillen zu mehr Muskeln? Eher nicht!

Doping ist ein No-Go. Aber wie sieht es mit Nahrungsergänzung beim Kraftsport aus? Für wen Eiweiss-Shakes, Kreatinpulver und L-Carnitin Sinn machen und ab wann es gefährlich wird.

Text: Stefan Schweiger; Foto: iStock

Sport ist gesund, Kraftsport ebenso, und ein definierter Körper entspricht dem Zeitgeist. Erste Erfolge im Fitnessstudio und Komplimente – etwa auf Social Media – spornen an, am Bodybuilding dranzubleiben. Aber könnte das Ganze nicht etwas schneller und müheloser gehen? Werbung und soziale Medien schüren die Hoffnung, dass bestimmte Nahrungsergänzungsmittel die schicke Lösung sind, den Muskelaufbau mittels Riegeln, Shakes, Pillen oder gar Injektionen zu fördern. Kann das klappen oder belasten Nahrungsergänzungsmittel vor allem den Geldbeutel – und die Gesundheit?

Proteinpräparate

Wie wirken sie?

Muskeln brauchen Eiweiss, um Masse aufzubauen. Fordert ein Belastungsreiz sie heraus, passen sie sich der kurzzeitigen Überbelastung an und wachsen. Hierfür sind Proteine als Grundbaustein nötig, allerdings nur im Rahmen eines Trainingsprogramms: ohne Anstrengung kein Muskelwachstum, auch nicht durch Eiweiss-Shakes oder Proteinriegel.

Wann wird‘s gefährlich?

Eine Überdosis Eiweiss ist kurzzeitig kein Problem. Auf Dauer lagert der Körper aber überschüssiges Eiweiss ein - im schlechtesten Fall als Fettreserven. Das kann nicht das Ziel sein. Für Erwachsene empfiehlt die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung pro Tag 0,8 Gramm Eiweiss pro Kilo Körpergewicht. Wer regelmässig sportlich aktiv ist, sollte dies auf 1,2 bis 2,0 Gramm erhöhen. Egal, ob es Kraft- oder Ausdauersport ist.

Die beste Quelle:

Proteinpulver, -riegel und -shakes sind im Vergleich zu natürlichen Eiweissquellen vor allem eins: teuer. Und enthalten, völlig unnötigerweise, oft viel Zucker oder Süssungsmittel. Eine ausgewogene Ernährung aus natürlichen Eiweissquellen reicht auch für die meisten Leistungssportler aus: Milchprodukte wie Quark und Frischkäse, ausserdem Eier und Fisch oder Geflügel sind natürliche Proteinquellen. Es geht aber auch ohne tierische Produkte, zum Beispiel mit Kartoffeln, Nüssen und Hülsenfrüchten. Am besten über den Tag verteilt, eine Extraportion Eiweiss gibt’s kurz nach dem Training.

Kreatin

Wie wirkt’s?

Sind Muskeln für kurze Zeit intensiv gefordert – etwa beim Gewichtheben oder Sprinten –, verbrauchen sie schnell viel Energie. Und genau die liefert Kreatin. Ein hoher Level dieser Kohlenstoff-Stickstoff-Verbindung pusht beim Training der Schnellkraft den Muskelaufbau und man ermüdet langsamer. Erfunden hat Kreatin aber nicht die Nahrungsergänzungsmittelindustrie; Leber, Nieren und Bauchspeicheldrüse produzieren es ganz natürlich.

Wann wird’s gefährlich?

Stammen sie aus verlässlichen Quellen, stellen Kreatinprodukte nur für Menschen mit einem Nierenleiden ein Risiko dar. Ausserdem für Kinder und Jugendliche, da sich bei ihnen die Einnahme von Kreatinprodukten auf den Hormonhaushalt auszuwirken scheint. Alle anderen sollten wissen: Als Nebeneffekt einer hohen Kreatinzufuhr lagern Muskeln Wasser ein. Dadurch steigt auf Dauer das Körpergewicht. Dieses Wasser wird dem Körper an anderer Stelle entzogen. Deshalb sollte man immer darauf achten, genügend zu trinken.

Die beste Quelle:

Wer mehr Kreatin zu sich nimmt, als der Körper benötigt, füllt bis zu einer gewissen Grenze den Speicher in den Muskeln auf: in Form von Pillen oder Pulver oder genauso effektiv, dafür aber günstiger auf natürlichem Weg über Fleisch und Fisch. Grundsätzlich gilt: je mehr Bindegewebe, desto mehr Kreatin. Spezielle Kreatinprodukte machen also vor allem für sportlich aktive Menschen Sinn, die sich vegetarisch ernähren. Je mehr Kreatin dauerhaft von aussen zugeführt wird, desto weiter fährt der Körper die eigene Produktion herunter.

Carnitin

Wie wirkt’s?

Sport + L-Carnitin = doppelter Fatburner. Klingt gut, was Werbung für solche Produkte verspricht. Und tatsächlich ist diese Verbindung aus Aminosäuren entscheidend daran beteiligt, Fett zu verstoffwechseln und daraus Energie zu gewinnen: Kein Fettstoffwechsel ohne Carnitin! Also beim Sport mit einer Extraportion in Pillen- oder Pulverform nachhelfen, um besonders viel Fett zu verbrennen? Klappt so leider nicht, wie Studien zeigen. Der Carnitingehalt in den Muskeln steigt dadurch nicht an.

Wann wird’s gefährlich?

Ein Zuviel an Carnitin verlässt den Körper über den Urin. Wirklich gefährlich ist es also nicht, kann aber bei hoher Dosis zu Mundgeruch, Durchfall und Schlafstörungen führen. Und das will bestimmt niemand freiwillig.

Die beste Quelle:

Die Leber bildet normalerweise selbst ausreichend Carnitin. Nachschub liefern andernfalls Lebensmittel wie Fleisch, Meeresfrüchte sowie in geringerem Mass auch Pilze und Nüsse. Studien zeigen aber, dass auch Menschen, die sich vegetarisch ernähren, in der Regel keinen Mangel haben. L-Carnitin-Pillen verschlanken also vor allem den Geldbeutel.

Anabolika

Wie wirken sie?

Massives Muskelwachstum, runter mit dem Körperfett, kurze Regeneration … Solche Anabolikaversprechen klingen verlockend. Das Verführerische am Doping mit anabolen Steroiden: Es wirkt tatsächlich. Und zwar schnell. Anabole Steroide kurbeln die Proteinbiosynthese, also die Neubildung von Eiweissen, in den Zellen an. Dies beschleunigt das Muskelwachstum. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass auch wirklich hart trainiert wird.

Wann wird’s gefährlich?

Immer! Die Liste mit möglichen Nebenwirkungen ist lang: von Akne und Gewichtszunahme über Leberschäden, Herzversagen, Stimmungsschwankungen und Potenzprobleme bis hin zur «Vermännlichung» bei Frauen und Brustvergrösserung bei Männern. Die meisten dieser Nebenwirkungen sind nicht mehr rückgängig zu machen. Besonders folgenschwer bei Jugendlichen: Anabolika können das Wachstum des Körpers verlangsamen oder gar stoppen. Dieses Risiko kann kein Sixpack wert sein.

Die beste Quelle:

Es gibt für sportlich Aktive keine legale Quelle für Anabolika. Punkt. Jede illegale Quelle wiederum birgt unkalkulierbare Risiken, denn niemand weiss, was hier wirklich drinsteckt. Auch vermeintlich harmlose Sportler-Nahrungsergänzung, von dubiosen Quellen online bezogen, enthält in Tests oft illegale Substanzen, um die Wirkung zu verstärken – zum Beispiel Anabolika oder den «Pre-Workout-Booster» Dimethylamylamin (DMAA), auch Methylhexanamin genannt. Natürlich ohne diese unter den Inhaltsstoffen aufzuführen. Besser: Die Finger davon lassen!

Krafttraining für Jugendliche: Besser ohne Pillen

Der Verdacht, Kraftsport bei Kindern und Jugendlichen beeinträchtige das Knochenwachstum, konnte nie bestätigt werden. Heute geht die Wissenschaft eher vom Gegenteil aus. Gut so, schliesslich ist Training im Fitnessstudio bei Jugendlichen schwer angesagt. Fitnessmodels und Social Media-Stars machen es vor. Viele von ihnen verdienen ihr Geld mit Werbung für Pülverchen, Shakes und Pillen. Ohne deren Push keine weitere Leistungssteigerung, so die Botschaft.

Glaubt man der «Gateway»-Hypothese aus der Sportwissenschaft, kann damit eine fatale Spirale in Gang gesetzt werden: Vom harmlosen Proteinriegel zum illegalen Doping sind es oft nur wenige Schritte. Die Hemmung, noch eine Stufe weiterzugehen, sinkt dadurch kontinuierlich. Die Nebenwirkungen von illegalem Doping, teilweise auch schon von vermeintlich harmlosen Mitteln wie Kreatin, sind für Jugendliche aber besonders dramatisch. Ihr Körper befindet sich noch im Wachstum.

Man kann es also nicht oft genug sagen: Eine ausgewogene Ernährung hält alles bereit, was Muskeln brauchen – vor allem hochwertiges Eiweiss aus natürlichen Quellen. Dann wächst parallel zu den Muskeln auch der Stolz, es ohne teure Nahrungsergänzung geschafft zu haben.

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