Dossier: Starke Psyche

Mentale Gesundheit stärken

Manchmal läuft alles wie am Schnürchen. Und manchmal geht einfach nichts mehr. Wie Sie Ihre mentale Gesundheit stärken und aus einem Tief herausfinden.

Text: Julie Freudiger & Isabelle Fretz; Foto: Sanitas

Nicht immer ist der Himmel blau und wolkenlos. Wenn die Belastung zunimmt, sei es durch Alltagsstress, Familienstreit oder Jobprobleme, drückt das auf die Stimmung. Das ist normal, Krisen gehören schliesslich zum Leben. Dreht sich die negative Gedankenspirale aber über Wochen, kann daraus eine Depression entstehen.

«Meine Gene kann ich nicht beeinflussen – wie ich Dinge wahrnehme [...], jedoch schon.»
Anna Katharina Beer-Heuberger, Fachpsychologin für Psychotherapie (FSP)

Einflussfaktoren auf die psychische Gesundheit

Den einen Auslöser für ein Stimmungstief gibt es nicht, erklärt Psychotherapeutin Anna Katharina Beer-Heuberger. Vielmehr ist es ein Mix aus Genen, persönlichen Ressourcen oder dem sozialen Umfeld.

Diese drei Faktoren sind bei allen Menschen unterschiedlich gewichtet. Aber: «Meine Gene kann ich nicht beeinflussen – wie ich Dinge wahrnehme sowie meinen Alltag und mein soziales Umfeld gestalte, jedoch schon», sagt die Psychologin Anna Katharina Beer-Heuberger. Diese Erkenntnis ist zentral, um aus einer Lähmung wieder in Bewegung zu kommen.

Bei einem längeren Tief sollte man die Unterstützung einer Fachperson suchen, ermutigt Anna Katharina Beer-Heuberger. Sie hält aber auch fest: «Schlechte Stimmungen gehören dazu. Wir müssen lernen, diese auch mal auszuhalten.»

Anzeichen für ein Stimmungstief

Ein Stimmungstief ist eine momentane, einige Stunden bis wenige Tage dauernde emotionale Schlechtwetterlage. Mögliche Anzeichen sind unter anderem:

  • Müdigkeit
  • Schlafstörungen
  • Traurigkeit
  • Reizbarkeit
  • Konzentrationsprobleme

Tief vs. Depression

Im Gegensatz zum Stimmungstief ist eine Depression eine psychische Erkrankung, die über längere Zeit oder wiederkehrend auftritt. Während einer Depression haben Betroffene Mühe, ihren Alltag zu meistern, und sind nur noch begrenzt oder gar nicht belastbar.

Wer mehr als zwei Wochen an Antriebslosigkeit, innerer Leere, geistiger und körperlicher Erschöpfung, Konzentrationsproblemen, Schlaf- und Appetitlosigkeit, Hoffnungslosigkeit leidet oder sogar Suizidgedanken entwickelt, sollte sich psychotherapeutische Unterstützung suchen.  

Mehr über Depressionen erfahren

«Wir sind unseren Emotionen nicht hilflos ausgeliefert. Wir können aktiv etwas verändern.»
Liliana Paolazzi, Fachverantwortliche Beratung bei Pro Mente Sana

Mentale Gesundheit stärken: einfache Tipps

Traurigkeit, Gereiztheit, Energielosigkeit und endlos kreisende Gedanken: Spätestens, wenn solche Anzeichen nach wenigen Tagen nicht von allein verschwinden, sollte man aktiv dagegen angehen, rät Liliana Paolazzi von der Stiftung Pro Mente Sana, die sich seit über 40 Jahren für die psychische Gesundheit einsetzt. «Wir sind unseren Emotionen nicht hilflos ausgeliefert. Wir können aktiv etwas verändern.»

Resilienz stärken

«Sich selbst anzunehmen, wie man ist – das ist für mich persönlich der wichtigste Schritt», sagt Paolazzi. Mit Sicherheit ist es aber nicht der einfachste. Es braucht Übung, seine eigenen Schwächen zu akzeptieren – und genauso, dass es im Leben Höhen und Tiefen gibt. «Lernen Sie über Ihre Fehler zu lachen und konzentrieren Sie sich auf Ihre Stärken.»

Tipp: Schreiben Sie jeden Abend drei Dinge auf, die Sie gut gemacht haben. Beispielsweise, wenn Sie in einem Meeting richtig reagiert haben oder Ihnen die Pastasauce gut gelungen ist. Halten Sie ausserdem drei Dinge fest, für die Sie dankbar sind. Diese Übung öffnet die Augen für das, was Ihnen guttun.

Sport treiben

«Bleiben Sie in Bewegung», so Paolazzi. Denn Bewegung und Sport heben nachweislich die Stimmung. Die Stresshormone Cortisol und Adrenalin werden abgebaut, und im Gegenzug wird die Produktion der Glückshormone Endorphin und Serotonin angeregt. Sport steigert zudem die Leistungsfähigkeit und fördert das Selbstvertrauen.

Tipp: Es muss nicht gleich eine Jogging- oder Fitnesseinheit sein, jede Form von Bewegung tut gut. Wählen Sie etwas, das Ihnen Spass macht. Integrieren Sie zudem Bewegung in den Alltag. Nehmen Sie die Treppe anstelle des Lifts und das Fahrrad anstelle des Autos.

Kontakte pflegen

Studien zeigen, dass Freundschaften für die Gesundheit wichtig sind und das Risiko für Depressionen verringern. Der Austausch mit anderen Menschen beeinflusst zudem die Eigenwahrnehmung. Paolazzi: «Die Mitmenschen reagieren unmittelbar auf uns. Wenn Sie jemanden anlächeln, lächelt die Person zurück. Und das stärkt wiederum uns selbst.»

Tipp: Planen Sie bewusst Zeit mit Freund:innen, Kolleg:innen und der Familie – auch wenn es nach einem langen Arbeitstag Überwindung kostet. Und: Gehen Sie bewusst einen Tag lang freundlich und lächelnd durch die Welt. Beobachten Sie, was zurückkommt.

Körperliches Wohlbefinden steigern

Früchte und Gemüse verbessern das psychische Wohlbefinden, die Vitalität und die Motivation, das belegen verschiedene Studien. Antioxidantien in Früchten schützen so Körperzellen vor freien Radikalen. Ein gesunder Darm hat ausserdem einen positiven Einfluss auf unsere Psyche. Nachweisbaren Effekt haben etwa Probiotika, die in Sauerkraut und Joghurt stecken. Sie stellen das Gleichgewicht im Darm wieder her und sollen Depressionssymptome verringern, fanden iranische Wissenschaftler heraus.

Tipp: Zwar ist der Zusammenhang zwischen Depressionen und Ernährung nicht restlos belegt, klar ist aber: Unser Lieblingsessen aus Kindheitstagen kann uns heute so glücklich machen wie früher, denn das Gehirn speichert Erlebtes mit den damals empfundenen Emotionen ab.

Frische Luft

Frische Luft im Grünen wirkt sich positiv auf die Psyche aus. Was viele Menschen aus eigener Erfahrung berichten, haben verschiedene Studien belegt. So zeigte eine 2019 publizierte Studie der University of Michigan, dass schon 20 bis 30 Minuten im Grünen das Stresshormon Cortisol erheblich senken – Natur entspannt.

Tipp: Verbinden Sie verschiedene Strategien miteinander: Treiben Sie Sport in der Natur, treffen Sie sich zum Picknick mit Freunden oder reden Sie über Ihre Sorgen während eines Spaziergangs.

Erholung und Entspannung

Unser System benötigt Ruhe, damit es sich entspannen und regenerieren kann. Aber: «Entspannung heisst nicht, stundenlang vor dem Fernseher zu sitzen», sagt Paolazzi. Ab und zu spreche zwar nichts gegen einen Filmabend, aber bewusste Ruhemomente ersetze dieser nicht. Unterschätzt wird zudem der Schlaf: Die meisten Menschen brauchen sieben bis acht Stunden – kürzer ist in den meisten Fällen schlicht zu wenig.

Tipp: Machen Sie Ihre Auszeit zur Priorität und tragen Sie diese in die Agenda ein – sei das ein Saunabesuch, eine Meditation oder eine Massage. Auch Minipausen im Alltag sind hilfreich. Bauen Sie beispielsweise während der Arbeit mehrmals einminütige Pausen ein: Atmen Sie dabei vier Sekunden ein, sechs Sekunden aus. Die verlängerte Ausatmung aktiviert den Entspannungsnerv Parasympathikus.

Neues lernen

Bleiben Sie auch mental aktiv und neugierig. So erweitern Sie Ihren Horizont und stärken das Selbstwertgefühl. Paolazzi bestätigt: «Wenn wir etwas Neues lernen, bleiben wir inspiriert und können den Blick für andere Dinge im Leben öffnen.»

Tipp: Finden Sie heraus, was Sie gerne lernen würden. Eine neue Sprache? Etwas über Kunst? Es muss nicht immer eine gezielte Ausbildung sein: Buchen Sie ein Onlineseminar, laden Sie eine App herunter oder nehmen Sie an einer Führung teil.

Darüber sprechen und Hilfe annehmen

Über die eigenen Sorgen zu reden, tut gut. Schon allein, weil man seine Gedanken laut formulieren muss und sie dadurch sortiert. «Sie können aber nicht davon ausgehen, dass andere Ihre Gefühlslage bemerken», mahnt Paolazzi. Suchen Sie daher aktiv das Gespräch.

Tipp: Wenden Sie sich an eine Person, der Sie vertrauen. Das können, aber müssen nicht die engsten Freunde sein. Manchmal fällt es leichter, mit jemandem zu reden, der ein bisschen Distanz hat.

Was heisst, mental gesund sein?

Der Übergang von psychisch gesund zu psychisch krank ist fliessend. Dabei verhält sich das psychische Wohlergehen wie eine Waage: In der einen Waagschale liegen die Belastungen. In der anderen diejenigen Dinge, die guttun und neue Energie geben – die Ressourcen.

Wiegt die Belastung gerade schwerer, rutschen wir in ein Stimmungstief. Dann ist es wichtig, die Ressourcen rasch wieder aufzustocken, um zurück ins Gleichgewicht zu kommen. Übrigens: Sind wir in Balance, halten wir Belastung gut aus. Daher lohnt es sich auch in Zeiten, in denen es uns gut geht, die psychischen Abwehrkräfte zu stärken.

Über die Expertinnen

Liliana Paolazzi hat Psychologie studiert und trägt die Fachverantwortung Beratung bei Pro Mente Sana. Pro Mente Sana ist eine unabhängige Organisation für psychische Gesundheit in der Schweiz. Sie berät Betroffene, Angehörige und Fachpersonen bei psychosozialen und rechtlichen Fragen rund um psychische Krankheit und Gesundheit. promentesana.ch

Anna Katharina Beer-Heuberger (M.Sc.) ist Fachpsychologin für Psychotherapie (FSP) und eidgenössisch anerkannte Psychotherapeutin. In ihrer Praxis in Zürich berät sie vorwiegend Einzelpersonen und Paare. Ihre psychotherapeutischen Behandlungsschwerpunkte sind unter anderen Depression, Burn-out sowie Anpassungsstörungen. 

Teilen