Dossier: Starke Psyche

Hypnose – Humbug oder Wundermittel?

Vielen Menschen macht Hypnose noch immer Angst. Dabei ist sie sicher, wirksam – und sie kann in den verschiedensten Lebenssituationen helfen.

Text: Anna Miller; Foto: iStock

Hypnose ist ein veränderter Bewusstseinszustand, der durch tiefe Entspannung und fokussierte Aufmerksamkeit gekennzeichnet ist. Die therapeutische Anwendung der Hypnose wird Hypnotherapie genannt. Es handelt sich dabei um eine anerkannte Behandlungsmethode. Sind wir hypnotisiert, kann das Unterbewusstsein, das viele Erinnerungen und Prägungen speichert, leichter erreicht und auch beeinflusst werden.

So ist es beispielsweise möglich, auf direkterem Weg negative Glaubenssätze und Verhaltensweisen aufzulösen und das eigene System dabei zu unterstützen, neue, gesündere Alternativen zu etablieren. Oder aber wir werden für Schmerz unempfindlicher, beispielsweise während einer Operation. Deshalb wird die Hypnose oft genutzt, um therapeutische Ziele zu erreichen oder Verhaltensweisen zu verändern.

Wie läuft eine Hypnosesitzung ab?

Eine Hypnosesitzung im Bereich Psychotherapie und/oder Coaching setzt sich in der Regel aus mehreren Schritten zusammen, wie Lionel Müller, Intensivmediziner und Hypnosetherapeut am Medizinischen Hypnosecenter Bern, erklärt. «Zuerst werden in einem ausführlichen Erstgespräch die Ziele und Wünsche der Patient:innen definiert und die aktuelle Situation sowie vergangene Lebensstationen angeschaut. Dann sollten die Hypnose und deren Ablauf genau erklärt werden, um Unsicherheiten abzubauen. Danach startet die eigentliche Hypnotherapie.»

Der Patient wird in einen tiefen Entspannungszustand hineinbegleitet, in dem er offen ist für positiv verändernde Suggestionen. Danach folgen eine sanfte Rückführung und ein Nachgespräch. Wie viele Sitzungen jemand braucht, ist sehr individuell. Bei einigen sind es zwei bis drei, bei anderen ist die Hypnose Teil eines länger andauernden Veränderungsprozesses.

Anwendungsgebiete: Wann kann die Hypnotherapie helfen?

Hypnose wird in verschiedenen Bereichen der Medizin und Psychotherapie eingesetzt. Nachfolgend vier Beispiele:  

Bei Schmerzen und im Operationssaal

Hypnose kann zur Schmerzlinderung bei chronischen Beschwerden, nach Operationen oder während der Geburt eingesetzt werden. Studien haben gezeigt, dass hypnotische Suggestionen die Schmerzempfindung reduzieren können. Hypnose wird beispielsweise als Ergänzung oder Alternative zur Anästhesie eingesetzt, um Angst und Schmerz während chirurgischer Eingriffe zu reduzieren.

Eine Studie des Schweizer Hypnoseinstituts hat gezeigt, dass 85 Prozent der Patient:innen, die Hypnose als Narkoseersatz erhielten, mit dem Ergebnis zufrieden waren und keine nennenswerten Komplikationen auftraten. Diese Form der medizinischen Hypnotherapie wird in der Schweiz zunehmend anerkannt und angewendet. Auch auf dem Zahnarztstuhl kommt Hypnose zum Einsatz, beispielsweise wenn eine Zahnarztphobie vorliegt.

Gegen Stress und Angst

Hypnotherapie wird oft zur Behandlung von Angststörungen, Phobien und stressbedingten Beschwerden eingesetzt. Sie kann helfen, die zugrunde liegenden Ursachen von Ängsten zu identifizieren und zu überwinden. Dabei profitieren Menschen schon vor dem Auftreten eigentlicher Angstsymptome von der entspannenden Wirkung, welche die Hypnose haben kann.

Gewichtsreduktion oder Raucherentwöhnung

Die Hypnotherapie ist ein beliebtes Mittel zur Unterstützung bei Verhaltensänderungen wie Raucherentwöhnung, Gewichtsreduktion und der Überwindung von Schlafstörungen. Durch gezielte Suggestionen können unerwünschte Verhaltensmuster verändert werden. Meist ist innerhalb von wenigen Sitzungen eine nachhaltige Veränderung realistisch.

Jedoch ist es wichtig, zu beachten, dass die Gründe für ein Suchtverhalten oft vielfältig und tiefer liegend sind. Was bedeutet: Die Sucht, die an der einen Stelle weghypnotisiert wird, kann in einem anderen Themenfeld wieder neu auftauchen. Deshalb ist auch bei vermeintlich «einfachen» Themen wie Raucherentwöhnung eine begleitende Therapie sinnvoll.

Bei psychischen Problemen

Bei der Behandlung von Depressionen, posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) und anderen psychischen Erkrankungen kann Hypnose als ergänzende Therapie eingesetzt werden. Auch hier ist die Einbettung der Hypnose in eine Therapie sinnvoll und angebracht, damit sie als Ergänzung gut eingesetzt werden kann.

«Hypnose eignet sich für die Reduzierung von Tinnitussymptomen bis hin zur Bearbeitung von Traumata und Leistungssteigerungen im Sportbereich», so der Experte. Dementsprechend reicht das Einsatzgebiet von einer tiefenpsychologischen Begleitung bis hin zu Mental Coaching. Wichtig ist deshalb, die eigenen Bedürfnisse zu klären und sich je nach Zielen an eine im jeweiligen Bereich erfahrene Fachperson zu wenden.

Welche Risiken und Gefahren birgt die Hypnotherapie?

«Die Hypnose ist ein sehr wirksames, sicheres Therapieverfahren, das sich in ganz unterschiedlichen Themenbereichen als wirksam erwiesen hat», sagt Facharzt Lionel Müller. Verschiedene internationale Studien haben die Wirksamkeit des Verfahrens bestätigt. In der Schweiz bieten zahlreiche Fachpersonen und Kliniken Hypnose an. Laut einer Umfrage des Schweizerischen Berufsverbandes für Hypnotherapie haben über 70 Prozent der befragten Patient:innen positive Erfahrungen mit Hypnose gemacht.

Risiken im eigentlichen Sinn gibt es keine. Da die Hypnose jedoch ein Therapieverfahren ist und vor allem bei der Aufarbeitung von schwierigen Erlebnissen starke Emotionen auslösen kann, ist ein professioneller Rahmen, im dem diese Erlebnisse aufgefangen, nachbesprochen und integriert werden können, von zentraler Bedeutung.

Wirkt Hypnotherapie auch bei Kindern?

Hypnose kann auch bei Kindern wirksam und hilfreich sein. Kinder sind oft besonders empfänglich für Hypnose, da sie eine lebhafte Vorstellungskraft und eine natürliche Neigung zur Fantasie haben. Die Suggestion kann beispielsweise helfen, wenn Themen wie soziale Ängste und Prüfungsdruck akut sind oder das Kind unerwünschte Verhaltensweisen wie Bettnässen oder Daumenlutschen zeigt.

Wichtig ist jedoch, die Hypnose altersgerecht und spielerisch anzugehen. Eltern sollten darauf achten, eine Fachperson auszusuchen, die Erfahrung mit Kindern hat und eine vertrauensvolle und sichere Umgebung schaffen kann.

Das A und O der Hypnose: die Wahl der richtigen Fachperson

Auch weil sich um die Hypnose herum noch viele Mythen ranken, ist die Wahl der Fachperson entscheidend. «Viele Menschen sind noch immer verunsichert und skeptisch, wenn es um Hypnose geht», sagt Müller. Vor allem weil damit eine Angst vor Kontrollverlust und Manipulation einhergeht. «Man hat sofort Bilder von Showhypnosen im Kopf, in deren Rahmen Menschen plötzlich verrückte Dinge tun», sagt der Experte. Dabei könne niemand gegen seinen Willen hypnotisiert werden. Das bedeutet aber auch: Wenn man innerlich nicht bereit zur Hypnose ist oder innere Widerstände bestehen, ist der Erfolg der Methode vermindert oder bleibt ganz aus.

Deshalb ist von entscheidender Wichtigkeit, dass man sich an eine ausgewiesene Fachperson wendet, der man vertraut, die idealerweise über einen medizinischen Hintergrund verfügt und einem Berufsverband angeschlossen ist, beispielsweise der Gesellschaft für klinische Hypnose und Hypnotherapie Schweiz GHYPS oder dem Schweizerischen Berufsverband für Hypnosetherapie SBVH. Zusammen mit der Expertin werden in einem ersten Vorgespräch Ziele und Ausgangslage besprochen und auf diese Weise ein Vertrauensverhältnis aufgebaut. So kann man sich in sicheren Händen fallen lassen. Und wirkliche Veränderung erfahren.

Selbsthypnose: Entspannung für zu Hause

Selbsthypnose kann eine nützliche Methode sein, um Stress zu reduzieren, positive Verhaltensänderungen zu unterstützen und das allgemeine Wohlbefinden zu fördern. Anleitungen für Selbsthypnose finden sich im Internet oder in Büchern, und es können auch entsprechende Ausbildungen absolviert werden.

Für den Anfang kann es schon reichen, in einen meditativen Zustand zu finden und sich innerlich Sätze wie: «Ich bin sicher» oder «Ich bin ganz entspannt», zu sagen. Es gibt auch immer mehr Apps auf dem Markt, die Entspannungs- und hypnotherapeutische Lektionen anbieten, wie beispielsweise die App «Breethe». «Auch hier sind jedoch eine gewisse Grundvorsicht und die Rücksprache mit einer Fachperson sinnvoll», sagt Müller.

Über den Experten

Dr. med. Lionel Müller ist Intensivmediziner und Hypnosetherapeut am Medizinischen Hypnosecenter Bern.

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