Mann sitzt gelangweilt im Home Office und starrt aus sein Smartphone.
Dossier: Starke Psyche

Bore-out-Syndrom: Macht Langeweile krank?

Es ist das Gegenstück zum Burn-out: das Bore-out. Es beschreibt die anhaltende Langeweile und Unterforderung. Von diesem Zustand sind sehr viel mehr Menschen betroffen als vom Burn-out. Welche Warnsignale gibt es – und was kann man tun?

Text: Laurina Waltersperger; Foto: Sebastian Doerk

Wussten Sie, dass sich fast jede dritte Person in der Schweiz am Arbeitsplatz unterfordert fühlt? Damit ist die Unterforderung viel stärker verbreitet als die Überforderung, schreibt der Verband Gesundheitsförderung Schweiz. Hält die Unterforderung an, kann das zu einem Bore-out führen.

Ein Zustand, der bis jetzt medizinisch kaum untersucht ist. «Das Bore-out gewinnt jedoch gesellschaftlich an Relevanz», sagt Katja Cattapan. Denn: Es zeichne sich ab, dass sich immer mehr Menschen in ihrem Beruf langweilen und sich unterfordert fühlen. Geht es nach der Chefärztin für Psychiatrie und Psychotherapie am Sanatorium Kilchberg, sollte die Forschung das zunehmende Phänomen dringend genauer anschauen.  

Was ist das Bore-out-Syndrom?

Die Bezeichnung «Bore-out» leitet sich vom englischen Wort «to bore» (langweilen) ab. Zusammen mit dem «out» beschreibt es den Zustand des «Ausgelangweiltseins». Eine Situation, in der die anhaltende Langeweile unerträglich wird – und sich auf die körperliche und psychische Gesundheit auswirken kann.

«Das Bore-out gewinnt gesellschaftlich an Relevanz.»
Katja Cattapan, Chefärztin für Psychiatrie und Psychotherapie am Sanatorium Kilchberg

Wie kommt es zur Unterforderung im Beruf?

Meistens führt die berufliche Situation zum Bore-out. Betroffene fühlen sich im Job unterfordert und oft fehlt ihnen das Interesse. Letzteres hängt damit zusammen, dass sich viele Menschen weder mit ihrer Arbeit noch mit ihrem Arbeitgeber identifizieren können.

Das zeigen auch die Zahlen: Das Marktforschungsunternehmen Gallup führt jährlich weltweit eine Studie zur Zufriedenheit am Arbeitsplatz durch. In der Schweiz waren 2023 nur noch 54 Prozent der Beschäftigten zufrieden mit ihrem Job. Hinzu kommt: Ganze 81 Prozent der Befragten gaben an, dass sie bei der Arbeit nur noch «Dienst nach Vorschrift» machen.

Woran liegt das? Ein wesentlicher Grund für «Dienst nach Vorschrift» sei die Unterforderung im Beruf, sagt Philippe Rothlin. Der HR-Experte und Co-Autor des Buches «Diagnose Bore-out: Warum Unterforderung im Job krank macht» berät Firmen zu diesen Themen. Er stellt zudem fest, dass in der Arbeitswelt immer mehr Menschen ihre Arbeit nicht als sinnstiftend empfinden und ihnen die Förderung des persönlichen Potenzials am Arbeitsplatz fehlt.

Das führt zum Gefühl des Stillstandes. Oft wissen Betroffene nicht mehr weiter. «Das wird zur grossen Belastung», sagt Rothlin. Besonders wenn Sie dann noch Mitmenschen im Umkreis sehen, die sich weiterentwickeln und weiterkommen im Leben.  

Ist Bore-out eine anerkannte Krankheit?

Noch ist das Bore-out wissenschaftlich wenig erforscht. Entsprechend fehlt es an den notwendigen Studien zu körperlichen und psychischen Auswirkungen. Folglich gilt das Syndrom bislang nicht als eine anerkannte Krankeit. Expert:innen gehen jedoch davon aus, dass es künftig mehr Studien zu dem weitverbreiteten Phänomen geben wird.

Diese werden zeigen, ob das Bore-out die Kriterien erfüllt, um von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Krankheit anerkannt zu werden. Oft braucht das jedoch sehr lange. Als Vergleich: Das Burn-out wurde erst 2022 als Krankheit anerkannt – nachdem jahrzehntelang darüber debattiert wurde, ob es eine Erkrankung ist oder eine Modediagnose.  

Was ist der Unterschied zwischen Burn-out und Bore-out?

Fachpersonen beschreiben das Bore-out oft als das Gegenstück zum Burn-out. Bei Letzterem führen Stress und Überarbeitung zum Zustand des Ausgebranntseins. Beim Bore-out sorgt die Langeweile für eine Art Stillstand und Desillusionierung. Wie Fachpersonen sagen, sei bisher jedoch unklar, was neurobiologisch beim Bore-out passiere.

Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass auch das Bore-out zu hohem Stress führen kann – da beide Zustände darin münden, dass die betroffene Person nicht mehr weiterweiss im Leben.  

Symptome: Wie äussert sich ein Bore-out?

Wenn die Langeweile und die Unterforderung über längere Zeit anhalten, schwinden das Interesse und das Engagement der Betroffenen in ihrem Beruf. Oft kommt es dann zu einem Zusammenspiel verschiedener Faktoren, die einen Teufelskreis auslösen: Einerseits wollen Betroffene von ihrer Arbeitsstelle weg, andererseits überfordert sie der Gedanke an einen Jobwechsel.

Hinzu kommen Strategien, um die Langeweile besser zu ertragen: Oft arbeiten diese Personen langsamer, um die Arbeit, die sie zu erledigen haben, zeitlich in die Länge zu ziehen. Das führt zu einem unguten Gefühl – weil man nicht mehr wirklich etwas leistet. Obwohl sich Bore-out-Betroffene anfangs vor allem langweilen, führen die genannten Faktoren im Zusammenspiel zu einer Stresssituation, die belastetend ist und zu einer lähmenden Ohnmacht führt, da kein Ausweg mehr in Sicht ist.

Das kann gesundheitliche Folgen haben. Zu den häufigsten körperlichen Symptomen zählen:

Zu den psychischen Symptomen gehören:

  • Antriebs- und Schlaflosigkeit
  • Orientierungslosigkeit
  • Konzentrationsstörungen
  • Niedergeschlagenheit
  • sozialer Rückzug
  • starke Unzufriedenheit
  • Gereiztheit
  • Angstgefühle bis hin zu Panikattacken

Ursachen: Was verursacht ein Bore-out?

Die Ursachen für ein Bore-out sind komplex. Dazu braucht es mehr als anhaltende Langeweile im Beruf. Der Zustand des Bore-outs ist ein Wechselspiel einzelner Faktoren, die sich meist gegenseitig noch verstärken, sagen Expert:innen.

Zu diesen Faktoren zählen:

  • Langeweile
  • Unterforderung
  • fehlende Identifikation mit dem Lebensinhalt (meistens mit der Arbeit)
  • Desinteresse (in der Regel mangels Identifikation mit Beruf)
  • Ratlosigkeit
  • Sinneskrise
  • Gefühl des Stillstands

Diese Faktoren füren zu einem «Entfremdungserleben», wie es die Psychiaterin Katja Cattapan nennt. Die Entfremdung zeige sich dadurch, dass die Verbundenheit mit sich selbst, mit der Welt, mit anderen Menschen, der Natur und der Arbeit verloren ginge.

Besonders in Bezug auf die Arbeit fühle sich das «Erleben» dann leer und sinnlos an. «Der Betroffene nimmt sich in seiner Arbeit als bedeutungslos wahr. Seine Arbeit spricht ihn emotional nicht mehr an», sagt Cattapan.

Warnsignale: Bin ich betroffen?

«Bore-out-Betroffene entwickeln häufig Strategien, welche die Unterforderung und Langeweile vertuschen sollen. Sie dehnen eigentlich schnell zu erledigende Tätigkeiten unnötig aus oder machen Überstunden, um vielbeschäftigt zu wirken», sagt Experte Philippe Rothlin.

So geraten Betroffene schnell in eine Negativspirale: Zum Beispiel wird vor den Kolleg:innen so getan, als sei man viel beschäftigt – dabei hat man nichts zu tun. Das sorgt für innerlichen Stress und belastet die Psyche. Auch die Langeweile verstärkt den Stress.

Diese Warnsignale deuten auf ein mögliches Bore-out hin:

Desinteresse und Langeweile

Wer bei der Arbeit gelangweilt und unterfordert ist, bei dem schwindet das Interesse an seiner Arbeit. Oft lenken sich diese Personen während der Arbeitszeit mit privaten Dingen ab.

Frustration

Wer bei der Arbeit unterfordert ist, fühlt sich oft in seinem Potenzial weder gesehen noch gefördert. Das führt zu Frust – und schliesslich auch zu Verbitterung oder Sarkasmus.

Innerliche Kündigung

Es kommt ein Zeitpunkt, an dem die Unterforderung, Langeweile und Frustration so gross ist, dass Betroffene innerlich kündigen. Oft werden sie dann auch krank und es folgen Krankschreibungen.

Schlechtes Arbeitsklima

Frust, Abwesenheit und nur noch «Dienst nach Vorschrift» führen zu einem schlechten Arbeitsklima. Oft kommt es dann zu Krisengesprächen mit den Vorgesetzten, Abmahnungen oder gar zur Kündigung.

Massnahmen: Was kann man gegen ein Bore-out tun?

Ein Bore-out ist keine Schicksalsbotschaft – sondern vielmehr ein Signal, dass Betroffene in ihrem Leben grundlegend etwas verändern sollten. «Der erste und wichtigste Schritt ist, sich dies zunächst selbst einzugestehen», sagt Psychiaterin Katja Cattapan.

Wer die Situation als solche erkenne und bereit sei, etwas in seinem Leben zu verändern, der habe mit den richtigen Massnahmen gute Chancen, wieder aus dem Bore-out herauszukommen.

Wege aus dem Bore-out:

Istzustand verbessern

Suchen Sie selbst nach Möglichkeiten, um Abläufe und Inhalte Ihrer Arbeit zu verbessern, damit diese wieder spannender und sinnstiftender wird.

Gespräch suchen

Sprechen Sie mit Ihrem Vorgesetzen offen über Ihre Situation. Meistens ist sich das berufliche Umfeld nicht bewusst, wie sich Betroffene fühlen. Sprechen Sie die Situation auch offen mit Ihren Kolleg:innen an.

Häufig helfen neue Zusammenarbeiten im Team, die Arbeit wieder interessanter zu erleben und Neues zu lernen.

Sich beruflich neu orientieren

Nicht selten kommt es vor, dass sich Betroffene nicht mehr mit ihrer Arbeit oder gar Branche identifizieren können und nach einer Aufgabe suchen, die ihren aktuellen Bedürfnissen nach Sinnhaftigkeit, Engagement und Weiterentwicklung im Beruf mehr nachkommt. Lassen Sie sich dazu von einer Fachperson beraten.

Werte und Ziele festlegen

Schreiben Sie auf, was Ihnen in Ihrem aktuellen Beruf nicht gefällt – und was für Sie die wichtigen Faktoren für die nächste Arbeitsstelle sind.

Dazu gehören natürlich inhaltliche Punkte, aber auch, welche Werte Sie vertreten und welche beruflichen und privaten Ziele Sie erreichen wollen. Diese Vorbereitung ist wichtig für den Rekrutierungsprozess.  

Proaktive Fragen stellen

Nutzen Sie die Gelegenheit, bei Job-Interviews die Fragen zu stellen, die Ihnen wertvolle Einblicke in ein Unternehmen geben: Zum einen ist die Kommunikationskultur wichtig. Fragen Sie, wie offen Feedback gegeben wird und wie oft.

Sprechen Sie auch das Thema Bore-out an – und fragen Sie, wie die Firma damit umgeht. Erwähnen Sie allenfalls ein Beispiel aus dem aktuellen Arbeitsalltag. Das zeigt den Willen nach Veränderung, Mitgestaltung, Proaktivität.

Neuen Fokus setzen

Oft fokussieren wir uns zu stark auf den Arbeitsplatz und identifizieren uns zu sehr mit unserer Arbeit. Das führt häufig zu unrealistischen Erwartungen. Deshalb: In unserem Leben gibt es noch so viel mehr als die Arbeit.

Wechseln Sie Ihren Fokus. Setzen Sie auf Hobbys, die Ihnen Freude bringen, soziale Kontakte, eine Weiterbildung, lernen Sie etwas Neues wie eine Sprache oder ein Instrument.   

Katja Cattapan ist Chefärztin am Sanatorium Kilchberg, Professorin und Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie.

Katja Cattapan

Die Chefärztin am Sanatorium Kilchberg ist Professorin und Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Zudem ist Katja Cattapan Titularprofessorin an der Universität Bern. Klinischer und wissenschaftlicher Schwerpunkt ihrer Arbeit sind stressbedingte Erkrankungen, Depression und Angststörungen.

Philippe Rothlin

Der HR-Experte berät Firmen, wie sie ihren Mitarbeitenden ein möglichst gutes Arbeitsumfeld bieten können. Als Co-Autor hat Philippe Rothlin das Buch «Diagnose Bore-out: Warum Unterforderung im Job krank macht» verfasst. Er ist Geschäftsführer der Swiss Finance & Property Anlagestiftung und leitet den HR-Bereich der Swiss Finance & Property Group.

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