Wie Hormone uns beeinflussen
Es gibt Phasen im Leben, da kennt man sich selbst kaum mehr. Auf einmal reagiert man gereizt, ist niedergeschlagen oder ist den Tränen nahe. Die einfache Erklärung lautet oft: Das sind die Hormone. Aber wie gross ist ihr Einfluss tatsächlich?
Eine Runde joggen oder auch ein Lied singen macht glücklich. Nicht nur, weil es «einfach gut tut», sondern auch weil dabei die Gute-Laune-Hormone Serotonin und Dopamin ausgeschüttet werden. Denn wie ein Mensch reagiert, was er fühlt und denkt, hängt nicht nur von Genen oder dem Umfeld ab. Auch die Hormone beeinflussen unseren Alltag und unsere Persönlichkeit. Dies wird insbesondere in Phasen hormoneller Veränderungen spürbar. Manche Menschen reagieren plötzlich impulsiv, sind niedergeschlagen oder träge. Für die Betroffenen selbst sind ihre Reaktionen und Gefühle oft ebenso unangenehm, ja manchmal so rätselhaft, wie für das Gegenüber.
«Warum bist du so bockig?»: Jugendliche und Pubertät
Experte: Prof. Dr. med. Urs Zumsteg, Leiter Endokrinologie/Diabetologie am Universitätsspital beider Basel
Wenn bei der Tochter oder beim Sohn die Launen im Minutentakt wechseln und der Nachwuchs sehr wortkarg wird, hat vermutlich die Pubertät begonnen. Auf der Haut spriessen Pickel, die Brüste wachsen, die Stimmen werden tiefer. Den Startschuss für diese stürmische Phase gibt die Nebenniere. Sie produziert Hormone, die bei beiden Geschlechtern unter anderem zu Hautveränderungen führen. Auch das Stresshormon Cortisol wird vermehrt ausgeschüttet. Und Eierstöcke und Hoden fahren die Produktion der Sexualhormone Östrogen und Testosteron hoch. «Der Körper von Pubertierenden verändert sich fast täglich – das ist für sie nicht einfach», sagt Urs Zumsteg. «Der direkte Einfluss der Hormone auf die Persönlichkeit wird meiner Meinung nach aber überschätzt. Denn Jugendliche, die besonders risikofreudig oder aggressiv sind, haben nicht mehr Testosteron als andere.» Auch der höhere Stresspegel der Pubertierenden sei nicht direkt auf die Hormone zurückzuführen.
Zumsteg sieht den Grund dafür und für die Launenhaftigkeit der Pubertierenden vor allem in den sozialen und psychischen Herausforderungen: Es ist eine herausfordernde Zeit, in der den Jugendlichen nicht nur der eigene Körper fremd wird, sondern sie sich auch aus dem vertrauten Kreis der Familie lösen. Dem unvernünftigen und impulsiven Verhalten, das Eltern verzweifeln lassen kann, liegen Reifungsprozesse im Gehirn zugrunde. «Das Gehirn reift von hinten nach vorne. Zuerst kommen die Areale, welche die Gefühle und Impulse steuern – die Vernunft kommt zuletzt.» Ein Trost für alle: Es wird nach und nach besser.
«Sie hat mal wieder Ihre Tage»: PMS und der weibliche Zyklus
Expertin: Prof. Dr. med. Brigitte Leeners, Direktorin der Klinik für Reproduktions-Endokrinologie am Universitätsspital Zürich
Frauen sind kurz vor und während der Menstruation häufiger gereizt, launisch und schlapp. Schuld sollen nach landläufiger Meinung die Hormone sein. Brigitte Leeners aber widerspricht: «Forschungsergebnisse zeigen, dass Frauen zu jedem Zeitpunkt des Zyklus geistig und körperlich leistungsfähig sind. Mit Ausnahme derer, die an PMS leiden.» PMS steht für Prämenstruelles Syndrom und bezeichnet eine Krankheit, die rund 150 Symptome umfasst und in der zweiten Zyklushälfte auftritt, also nach dem Eisprung. Typisch sind etwa Erschöpfung, Blähungen, Reizbarkeit, schlechte Impulskontrolle und depressive Verstimmungen.
Nach Eintritt der Regelblutung verschwinden die Symptome wieder. Dies hat indirekt mit Hormonen zu tun: In den ersten circa 13 Tagen des Zyklus steigt der Spiegel des weiblichen Wohlfühlhormons Östrogen an. Wird die Eizelle nicht befruchtet, sinkt er wieder und der Progesteronspiegel steigt, was etwa für das Spannen der Brüste verantwortlich ist. Doch nicht die Hormonschwankungen selbst lösen PMS-Beschwerden aus, sondern die Reaktion des Gehirns darauf – und die ist von Frau zu Frau unterschiedlich. Studien gehen davon aus, dass 20 bis 30 Prozent der Frauen an PMS leiden. Leeners schätzt die Zahl der Frauen, die mindestens ein Symptom aufweisen – per Definition wäre dies kein PMS – auf mehr als 70 Prozent.
«Es kann aber auch sein», ergänzt sie, «dass eine Patientin Schmerzen und Stimmungsschwankungen vor der Menstruation erlebt, weil sie diese geradezu erwartet. Wie bei einer selbsterfüllenden Prophezeiung.» Auch heute kursieren noch viele Mythen über die Periode. Dabei geht gerne vergessen, dass Beschwerden eigentlich die Ausnahme und nicht die Regel sind.
«Ich bin wie fremdgesteuert»: Wechseljahre und Midlife-Crisis bei Mann und Frau
Expertin: Dr. med. Anna Raggi, Vizepräsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Menopause / Dr. med. Roger Schneiter, Facharzt für Endokrinologie am Universitätsspital Zürich
Ab ungefähr Mitte Vierzig geht die Konzentration der Geschlechtshormone zurück. Es ist vor allem der Mangel an Östrogen, den die Frauen in den Wechseljahren zu spüren bekommen: Hitzewallungen, Schlafstörungen, Gelenkschmerzen, Libidoverlust und Scheidentrockenheit. «Einige Patientinnen klagen, sie fühlten sich wie fremdgesteuert», sagt Anna Raggi. In den Wechseljahren sei das Risiko, an einer Depression zu erkranken, zudem zweieinhalbmal höher. Denn: «Östrogene wirken sich positiv auf das zentrale Nervensystem aus. Wenn sie fehlen, kann es zu Reizbarkeit und depressiven Verstimmungen bis hin zur Depression kommen.»
Die Menopause-Spezialistin relativiert aber: «Wechseljahrbeschwerden stehen zwar mit Hormonen in Zusammenhang, aber soziokulturelle Faktoren spielen ebenso eine Rolle.» Etwa, wenn sich Frauen gegen das Älterwerden wehren und negative Veränderungen gedanklich vorweg nehmen. Bei starken Symptomen empfiehlt Anna Raggi eine auf die Patientin abgestimmte Hormonersatztherapie. Denn die Wechseljahre können mehrere Jahre dauern – und je früher die Symptome starten, desto länger dauern sie an.
«Bei Männern sinken die Testosteronwerte bereits ab 30 bis 35 Jahren durchschnittlich um etwa ein Prozent jährlich, wobei dies sehr unterschiedlich ist», erklärt Roger Schneiter. Wechseljahre wie bei der Frau gibt es daher nicht. Was nicht heisst, dass diese Phase an Männern spurlos vorbeigehen würden: «Ein sinkender Testosteronspiegel kann die Lust und die Erektionsfähigkeit verringern.» Auch Müdigkeit, fehlende Energie und Gewichtszunahme kommen vor – aber längst nicht bei allen Männern. Der Midlife-Crisis mit ihren Sinnkrisen liegen daher wohl weniger die Hormone als das grundsätzliche Unbehagen gegenüber Veränderungen zugrunde. Und dieses betrifft Menschen aller Altersgruppen.
Was machen Hormone eigentlich?
Hormone sind Botenstoffe, die im Körper Informationen von A nach B senden und dort Reaktionen auslösen. Sie entstehen in verschiedenen Drüsen: Die Geschlechtshormone Östrogen und Testosteron werden etwa in den Eierstöcken und den Hoden produziert. Insulin, das den Blutzucker reguliert, in der Bauchspeicheldrüse.
Die Endokrinologie ist das medizinische Fachgebiet, das sich mit Erkrankungen im Zusammenhang mit hormonellen Störungen befasst. Hormone bilden ein ganzes Universum, das noch lange nicht komplett erschlossen ist. Jährlich werden neue Botenstoffe entdeckt, vieles ist noch unbekannt.