Migräne: mehr als bloss Kopfschmerzen
Migränebetroffene werden oft nicht ernst genommen. Doch Migräne ist eine neurologische Störung, welche die Lebensqualität massiv einschränkt. Welches sind die Symptome, Ursachen und vor allem Behandlungsmöglichkeiten?
Kopfschmerzen kennen alle, schlimm sind sie meistens nicht. Das ist mitunter ein Grund, warum Migränebetroffene zahlreichen Vorurteilen begegnen – und deshalb manchmal sogar ihr eigenes Leiden kleinreden. Dabei gehört Migräne laut der Weltgesundheitsorganisation WHO zu den Krankheiten, welche die Lebensqualität am meisten beeinträchtigen.
«In der Schweiz leiden ungefähr eine Million Menschen an Migräne», schätzt Andreas Gantenbein. Der Neurologe hat sich auf Kopfschmerzen und Schmerzmedizin spezialisiert. «Sehr viele Leute haben sehr häufig Migräneanfälle, doch man nimmt das gar nicht so wahr», bringt Gantenbein das Hauptproblem auf den Punkt: Migräne ist unsichtbar. Für Betroffene wiegt das Unverständnis von Arbeitgebern, Freund:innen und Familie meist schwerer als die Krankheit an sich.
«In der Schweiz leiden ungefähr eine Million Menschen an Migräne.»
Ursachen und Auslöser einer Migräneattacke
Die genauen Ursachen der neurologischen Störung sind noch nicht vollständig erforscht. Vereinfacht gesagt, verarbeitet das Gehirn von Migränebetroffenen Reize früher und schneller als im Normalfall, was zu einer Reizüberflutung führt. Die Veranlagung wird vermutlich vererbt. «Zwischen 60 und 80 Prozent der Betroffenen sind erblich vorbelastet», schätzt Gantenbein.
Treten die Migräneanfälle weniger als 15 Tage pro Monat auf, spricht man von einer episodischen Migräne. Machen sie mehr als die Hälfte des Monats aus, ist es eine chronische Migräne. Oft treten die Anfälle spontan auf oder werden durch sogenannte Trigger ausgelöst. Ein Migränetagebuch kann daher hilfreich sein, um die Belastung zu dokumentieren und die eigenen spezifischen Auslöser zu finden. Bekannte Trigger sind:
- Genussmittel im Übermass, vor allem Kaffee, Alkohol und Nikotin
- Veränderungen des Östrogenspiegels, weshalb Frauen häufiger von Migräne betroffen sind (oft während des Eisprungs und der Menstruation)
- Medikamente, insbesondere Potenzmittel und Nitropräparate zur Behandlung von Herzerkrankungen
- Umwelteinflüsse, vor allem Wetter- und Höhenveränderungen; äussere Reize wie Lärm oder Gerüche sind meistens eher Vorboten als Auslöser
- Unregelmässige Nahrungsaufnahme, Unterzuckerung und unzureichende Flüssigkeitsaufnahme
- Wechselhafter Schlafrhythmus mit zu viel oder zu wenig Schlaf
- Stress, sowohl körperlicher als auch seelischer Natur
Migräneattacke: die Symptome
Eine Migräne kündigt sich meistens 4 bis 48 Stunden im Voraus an. Vorboten sind etwa Nervosität, Euphorie, Stimmungsschwankungen, Appetitlosigkeit, Heisshunger, Frieren und Schwitzen. Die Migräne selbst dauert zwischen wenigen Stunden und bis zu drei Tagen, die Schmerzen können quälend sein: pulsierend, pochend und meistens einseitig.
Hinzu kommen typische Symptome wie Licht- und Lärmüberempfindlichkeit, Übelkeit und Erbrechen. Auch Geruchs- sowie Berührungsempfindlichkeit sind häufig. Jede Bewegung verschlimmert die Schmerzen. «Diese sind aber nicht das Hauptproblem, denn mit Medikamenten lassen sie sich gut in den Griff kriegen», erläutert Gantenbein. Vegetative Symptome wie Appetitlosigkeit, Konzentrationsstörungen und Reizempfindlichkeit bleiben aber bestehen. Ausserdem sind die Betroffenen nach einer Migräneattacke noch ein bis zwei Tage erschöpft, schmerzempfindlich und leistungsreduziert.
Was ist eine Migräne mit Aura?
Rund 10 bis 20 Prozent der Betroffenen haben vor einem Migräneanfall eine Aura. Häufig sind das Sehstörungen – von Lichtblitzen über Zickzacklinien bis zu blinden Flecken –, die klein im Sehfeld beginnen und sich langsam ausbreiten. Es kann aber auch zu Schwindel und Gefühlsstörungen im Gesicht, in den Händen oder den Beinen kommen. In seltenen Fällen ist sogar das Sprechen gestört. «Eine Aura dauert im Schnitt 10 bis 20 Minuten, manchmal bis zu einer Stunde», erklärt Gantenbein.
Die Aura hinterlässt keine bleibenden Schäden. Allerdings ist das Risiko für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall leicht erhöht. Dies kann vor allem dann ein Problem sein, wenn andere Risikofaktoren wie Rauchen, Antibabypille oder Bluthochdruck mitspielen.
«Die Diagnose ist zwar schnell gestellt, aber die Patientinnen und Patienten brauchen eine fundierte Beratung und jemanden, der ihnen wirklich zuhört.»
Behandlung von Migräneanfällen: von Akupunktur über ätherische Öle bis hin zu Zitronensaft
Migräne ist eine chronische Erkrankung, die nicht heilbar ist. Aber Schmerzmittel, Medikamente, Therapien und die Anpassung des Lebensstils reduzieren die Anzahl der Attacken und die Intensität der Kopfschmerzen. Betroffene gewinnen dadurch wieder an Lebensqualität. «Eine Therapie baut auf drei Säulen auf: Akuttherapie, Prophylaxe und nicht-medikamentöse Behandlungen», fasst Gantenbein zusammen. «Es gibt aber keine Patentbehandlung. Als Arzt hat man die Diagnose zwar schnell gestellt, aber die Patientinnen und Patienten brauchen eine fundierte Beratung und jemanden, der ihnen wirklich zuhört.»
Akuttherapie
Medikamentöse Prophylaxe
Nicht medikamentöse Behandlung
Informationen und Anlaufstellen
Die Schweizerische Kopfwehgesellschaft vereint Spezialärzt:innen, Grundversorger und Wissenschaftler:innen, die sich mit dem Thema Kopfschmerzen befassen. Auf ihrer Website findet man Fachpersonen, Therapieempfehlungen und Praxistipps.
Zur Schweizerischen Kopfwehgesellschaft
Experte
Prof. Dr. med. Andreas Gantenbein ist Facharzt FMH für Neurologie und spezialisiert auf Kopfschmerzen und Schmerzmedizin. Bevor er als Teilhaber in die Praxis Neurologie am Untertor in Bülach einstieg, war er unter anderem Chefarzt Neurologie in der RehaClinic Bad Zurzach.
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