Hypochondrie: Und wenn es doch etwas Schlimmes ist?
Der Leberfleck ist ganz sicher Hautkrebs, die Kopfschmerzen deuten auf einen Hirntumor hin? Hypochondrie ist eine Spirale der Angst, aus der man ohne professionelle Hilfe nur schwer herausfindet. Aber auch das Umfeld kann unterstützen – wenn es Krankheitsängste ernst nimmt.
Ruft die Krankenpflegerin auf der Station: «Der Simulant in Zimmer 5 ist gestorben!» Antwortet der Chefarzt: «Jetzt übertreibt er aber …» Zugegeben, besonders gut ist der Witz nicht. Kann er vielleicht auch gar nicht sein, basiert er doch zu stark auf Vorurteilen und Missverständnissen im Zusammenhang mit Hypochondrie.
Die ständige Angst zu erkranken, schränkt das Leben stark ein. Werden Betroffene als «eingebildete Kranke» oder «Simulanten» abgetan, dreht sich die Spirale noch schneller. Um Menschen mit solchen Ängsten zu helfen, ist es wichtig, die Faktoren zu verstehen, die zu Hypochondrie führen und sie befördern.
5 Faktoren, die Hypochondrie begünstigen
Die falschen Begriffe
Das Belächeln
Das Vermeiden
Der Ärztemarathon
Die Internetrecherche
Nachgefragt: Wie eine Psychotherapie bei Krankheitsängsten hilft
Ziel einer Behandlung gegen Hypochondrie ist, Denkmuster zu verändern und Lebensqualität zurückzugewinnen. Wie das gelingt, erklärt Dr. Steffi Weidt.
Die Grenze zwischen einem Menschen, der penibel auf die eigene Gesundheit achtet, und einem Menschen mit ausgeprägten Krankheitsängsten ist oft fliessend. Woran machen Sie sie fest?
Wenn ein Mensch Leidensdruck verspürt, ist sein Leiden ganz real. Entscheidend ist nicht, ob diese Person medizinisch falsch oder richtig liegt. Oft drehen sich Krankheitsängste und Sorgen um eine unangenehme körperliche Wahrnehmung, die die Patientin oder der Patient falsch interpretiert. Die Wahrnehmung selbst ist aber korrekt. Das muss ich als Ärztin ernst nehmen.
Wie gewinnen Sie bei Patient:innen mit Krankheitsängsten das nötige Vertrauen, obwohl es ihnen genau daran eigentlich mangelt?
Indem ich der Sache auf den Grund gehe, bisherige Untersuchungsergebnisse noch einmal sichte und auch Unwahrscheinliches in Betracht ziehe. Selbst wenn eine Person hundertmal untersucht worden ist, kann es sein, dass vielleicht tatsächlich noch nicht das Richtige untersucht worden ist. Danach erst kann die Psychotherapie starten.
Manche Betroffene empfinden ein diffuses Unwohlsein, andere eine konkretere Angst. Diese unangenehmen Emotionen versuchen sie zu regulieren, indem sie sich in der Arztpraxis untersuchen lassen oder im Internet recherchieren. Kurzfristig funktioniert das sogar. Mit der Zeit verinnerlicht das Gehirn aber, dass immer eine Untersuchung nötig ist, um sich besser und sicherer zu fühlen.
Woran bemerken Sie, dass es in der Psychotherapie vorangeht?
Wenn es Patient:innen immer besser gelingt, diese Unsicherheit auszuhalten – ohne Untersuchung oder Internetrecherche. Das Hirn kann auch wieder umlernen: Ah, die Unsicherheit geht von allein wieder weg. Die Patient:innen sollten verstehen, dass ihr Unwohlsein tatsächlich begründet ist – auch wenn es andere Ursachen hat als anfangs angenommen. Das kann entlastend sein.
In einem nächsten Schritt habe ich zum Beispiel mit einer Patientin einen Brief an den behandelnden Hausarzt aufgesetzt. Darin legten wir fest, dass er bestimmte Untersuchungen nicht durchführen soll, wenn sie aus seiner Sicht akut nicht sinnvoll sind – auch wenn die Patientin noch so sehr drängt. So erobert man sich das Leben zurück und wird wieder toleranter gegenüber körperlichen Symptomen, indem man sie nicht gleich als Katastrophe interpretiert.
Wie können Angehörige die Betroffenen unterstützen?
Indem sie nicht in eine Co-Therapeutenrolle rutschen. Das sind sie nämlich nicht. Sie dürfen es auch einfach mal so stehen lassen, wenn die Partnerin oder der Partner doch wieder zum Arzt geht oder im Internet liest. Wichtig für Angehörige ist zu wissen, welche Mechanismen dahinterstecken und wie man damit umgeht.
Manchmal geht es dann um ganz feine Rückversicherungen in der Familie statt in der Arztpraxis: «Du bist auch der Meinung, dass das kein Herzinfarkt ist, oder?» Solche Fragen darf man auch mal unbeantwortet lassen.
Über die Expertin
Privatdozentin Dr. Steffi Weidt ist Chefärztin an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich und Expertin für die Behandlung von Krankheitsängsten.