Dossier: Ernährung

Darmsanierung – Mogelpackung oder Erfolgsrezept?

Wer Symptome wie Völlegefühl, Bauchschmerzen oder anderweitige Darmbeschwerden kennt, macht sich automatisch Gedanken zur Darmgesundheit. Tatsächlich haben die Bakterien im Darm einen Einfluss auf viele gesundheitliche Bereiche. Aber macht eine Darmsanierung Sinn?

Text: Abital Rauber; Foto: Sanitas

Gesundheit beginnt im Darm – das liest oder hört man oft. Und es stimmt: Der Darm hat einen starken Einfluss auf Gesundheit und Wohlbefinden. Da liegt der Gedanke nahe, den Darm mit einer Darmsanierung, Darmkur oder Detox-Behandlung zu unterstützen. Nur: Damit tut man seinem Verdauungsorgan nicht unbedingt etwas Gutes.

Darmsanierung und Detox: Was ist da dran?

Darmsanierungen basieren auf drei Säulen: der Darmentleerung durch Einläufe oder abführende Massnahmen mit Salzen, Kräutern oder Medikamenten, der Entgiftung mittels Heilerde oder anderen Mineralerden und dem Wiederaufbau der Darmflora. Es gibt keine wissenschaftlichen Beweise dafür, dass Menschen von Darmsanierungs- oder Detox-Behandlungen profitieren. Im Gegenteil: Gifte, die der Darm im Kot bereits gebunden hat, können dadurch wieder freigesetzt werden. Ausserdem sind darmreinigende Massnahmen zumindest vorübergehend massive Eingriffe in die Darmflora. Insbesondere bei Darmerkrankungen wie Morbus Crohn, also chronischen Entzündungen, bei Darmkrebs oder bei einem geschwächten Immunsystem ist von Darmsanierungen abzuraten.

«Darmspülungen, insbesondere mit Wasser, können die Regulationsmechanismen im Darm aus dem Gleichgewicht bringen», bestätigt Dr. med. Stefanie Siegfried, Fachärztin für Allgemeine Innere Medizin. Wenn vor einem Untersuch oder einer OP der Darm entleert werden muss, kommen deshalb salzhaltige Lösungen zum Einsatz. Wer damit bereits Erfahrungen gemacht hat, kennt den ekligen Geschmack im Mund, der zu Brechreiz führen kann. «Um die Regulation im Darm nicht zu zerstören, sind diese Salze im richtigen Verhältnis notwendig», klärt Siegfried auf. Die essenziellen Inhaltsstoffe solcher Lösungen verhindern, dass Verschiebungen von Wasser und Elektrolyten, also Blutsalzen, im Körper stattfinden. Dies kann nämlich verheerende Folgen haben.

«Darmspülungen, insbesondere mit Wasser, können die Regulationsmechanismen im Darm aus dem Gleichgewicht bringen.»
Dr. med. Stefanie Siegfried, Fachärztin für Allgemeine Innere Medizin

Dass man den Körper entgiften sollte, ist ein alternativmedizinisches Konzept. Die Schulmedizin kann damit wenig anfangen. «Wir gehen davon aus, dass die gesunden Organe den Organismus selbst entgiften», sagt Siegfried. Das heisst, Leber, Nieren und der Darm selbst leisten ihre Arbeit von allein.

Auch Analysen des Stuhls bezüglich Darmflora – ausser zu Forschungszwecken – sind kaum hilfreich. Die Wissenschaft weiss bisher zu wenig, um daraus konkrete Handlungsempfehlungen ableiten zu können. Eine Stuhlanalyse ist schliesslich nur eine Momentaufnahme, die durch viele Faktoren wie Geschlecht, Alter, Medikamente oder Ernährung beeinflusst wird. Das heisst, die Darmflora verändert sich ständig.

Der Darm – unser Bauchhirn und Lebensraum für unzählige Mikroorganismen

Beeindruckende 1,5 Kilogramm Bakterien trägt jeder Mensch mit sich herum – den Grossteil davon im Darm. Die Zusammensetzung aus nützlichen und schädlichen Bakterien ist so individuell wie ein Fingerabdruck. Für eine optimale Magen-Darm-Gesundheit braucht es ein gutes Gleichgewicht, sozusagen eine friedliche Koexistenz der über 450 verschiedenen Bakterienarten, die dort leben. Sie produzieren wichtige Vitamine und schützen den Körper vor Schadstoffen und Erregern.

Damit nicht genug: Der Darm ist auch ein wesentlicher Bestandteil unseres Immunsystems – und der Sitz des sogenannten Bauchhirns. Dieses Nervengeflecht durchzieht den gesamten Magen-Darm-Trakt. Es steht in enger Verbindung mit dem zentralen Nervensystem im Gehirn, das die meisten Körperfunktionen steuert.

Darmkuren – Hauptsache sanft

Aber: Auch der Darm braucht Pflege. In anderen Ländern, beispielsweise in Brasilien, kann man sich sanfte Darmsanierungen ein- bis zweimal pro Jahr ärztlich verordnen lassen. Die Betonung liegt hier auf «sanft» – ohne Einläufe oder sonstige «Nachhilfe» für eine komplette Entleerung. Da der Darm nicht dreckig ist, muss er auch nicht gereinigt werden. Ausserdem kann beim Abführen die Darmwand verletzt werden, Geschwüre können sich bilden, und weil dabei auch hilfreiche Bakterien verloren gehen, haben infektiöse Erreger ein leichteres Spiel.

«Wenn jemand dem Darm etwas Gutes tun will, sind es nicht Darmspülungen, sondern Darmkuren, die hilfreich sind», erklärt Siegfried. Konkret bedeutet eine Kur für den Darm etwa den Verzicht auf Zucker und Süssstoffe während einer gewissen Dauer. Auch auf Alkohol oder Fleisch zu verzichten, kann Entzündungen im Darm entgegenwirken. «Wir empfehlen jeweils eine Kur von mindestens einem Monat, optimalerweise erfolgt eine Ernährungsumstellung auf Dauer», ergänzt Siegfried. Es sei jedoch auch psychologisch nachvollziehbar, dass Patienten aktiv etwas für ihren Darm tun wollen, das sofort spürbar ist. Denn: «Ein Verzicht ist nicht spektakulär und braucht vor allem Zeit, bis bemerkbare Erfolge erzielt werden.»

«Wenn jemand dem Darm etwas Gutes tun will, sind es nicht Darmspülungen, sondern Darmkuren, die hilfreich sind.»
Dr. med. Stefanie Siegfried, Fachärztin für Allgemeine Innere Medizin

Der Darm kann auch durch die Zufuhr der richtigen Vitalstoffe oder mit einer gezielten Ernährung unterstützt werden, wenn die Verdauungsmikrobiota, also die gesunde Darmflora, aus dem Gleichgewicht gerät. Das kann zum Beispiel durch Ernährung, Medikamente wie Antibiotika oder Stress passieren. Mit Folgen wie Blähungen, Bauchschmerzen, Sodbrennen, Verstopfung, allgemeiner Erschöpfung oder Hautproblemen wie Akne oder Neurodermitis. Eine angegriffene Darmschleimhaut macht ausserdem anfälliger für Infekte, Allergien und Folgeerkrankungen wie das Reizdarmsyndrom.

Probiotika und Präbiotika

Eine wichtige Rolle bei einer sanften Kur spielen Pro- und Präbiotika. Denn für eine gesunde Darmflora braucht es eine Menge Bakterien, die in sogenannten Probiotika enthalten sind. Ein Probiotikum ist eine Zubereitung, die lebende Mikroorganismen enthält, die Darmflora stärkt und den Stoffhaushalt verbessert. Ausser im Bio-Naturjoghurt sind Probiotika in naturtrübem Apfelessig, Dickmilch, reiner Buttermilch, Skyr oder Sauerkraut reichhaltig enthalten. Probiotika senken zudem den pH-Wert im Darm und sorgen so für ein optimales Milieu in der Darmflora. Das hilft nicht zuletzt dem Immunsystem und stärkt die Barrierefunktion der Darmwand, damit krankmachende Keime nicht in den Körper gelangen. Setzt man die Probiotika wieder ab, muss die eigene Flora die Arbeit weiterführen. Es sind auch höher dosierte Kapseln, Tropfen, Tabletten oder Pulver mit Probiotika verfügbar. Lassen Sie sich von Spezialisten beraten.

In der Praxis werden Probiotika bei einer Medikamententherapie wie etwa mit Antibiotika standardmässig mitverordnet. «Wir empfehlen die Einnahme von Probiotika bis eine Woche nach Ende der Therapie», sagt Dr. med. Siegfried.

Im Gegensatz zu Probiotika sind Präbiotika unbelebte Substrate, beispielsweise Ballaststoffe. Präbiotika dienen den guten Darmbakterien als Nahrungsgrundlage und bilden so gewissermassen die Basis für die Besiedlung des Darms.

Hausmittel für einen gesunden Darm

Wer sich ausreichend bewegt, ballaststoffreich isst, genügend schläft und trinkt, macht in puncto eines gesunden Darms schon sehr viel richtig und kann getrost auf Darmsanierungen verzichten. Wer ein wenig nachhelfen will, kann zusätzlich auf die folgenden Punkte in der Ernährung achten, die eine gesunde Darmflora unterstützen:

  • Unlösliche Ballaststoffe helfen, die Nahrung durch den Verdauungstrakt zu transportieren, und werden wieder ausgeschieden. Dazu zählen: Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Pilze.
  • Lösliche Ballaststoffe sind das «Futter» für nützliche Darmbakterien. Dazu gehören: Chicorée, Lauch, Spargel, Haferflocken, Nüsse, Flohsamenschalen.
  • Natürliche Probiotika sorgen für ein gutes Darmmilieu. Zu finden sind sie in Joghurt, Kefir und Sauerkraut.

Nicht nur die Ernährung, sondern auch die Flüssigkeitszufuhr hat einen Einfluss: Der Darm braucht ausreichend Flüssigkeit, um gesund zu bleiben. Am besten sind Wasser, ungesüsster Kräutertee oder Gemüsebrühe. Trinken unterstützt den Darm beim Entgiften und Verdauen.

Vorsicht geboten ist bei Zucker und künstlichen Süssstoffen sowie bei Fleisch. Es ist zwar keine Neuigkeit, dass Zucker und Süssungsmittel dem Körper nicht guttun. Sie bringen aber auch die Darmflora durcheinander. Von künstlichen Süssstoffen wie Aspartam, Saccharin und Sucralose weiss man inzwischen, dass sie gesunde Darmbakterien in krankmachende Mikroben verwandeln. Auch ist bekannt geworden, dass ungesunde Mengen an Fleisch Entzündungen im Darm anregen können. In den letzten Jahren hat die Forschung zudem den Zusammenhang zwischen erhöhtem Fleischkonsum und dem Auftreten von Darmkrebs entdeckt.

Abnehmen dank Darmkuren?

Auf Lifestyle-Plattformen und in Hochglanzmagazinen wird häufig behauptet, dass eine Darmreinigung beim Abnehmen helfe. Fakt ist, dass man nach einer Darmreinigung in Kürze mehrere Kilogramm weniger auf den Rippen haben kann. Allerdings ist dann nicht das ungeliebte Fett geschwunden, sondern tatsächlich der reduzierte oder fehlende Stuhlgang. Aber: Die Wissenschaft vermutet, dass bestimmte Bakterien beim Abnehmen helfen könnten.

Über die Expertin

Dr. med. Stefanie Siegfried ist Fachärztin für Allgemeine Innere Medizin. Sie praktiziert in ihrer eigenen Praxis in Bern. Ausserdem ist sie Belegärztin im Salem-Spital des Hirslandenverbunds.

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